Endless: Roman (German Edition)
unglückseliges Missgeschick …«
»Missgeschick?« Abraham konnte nicht mehr länger an sich halten. »Erwarten Sie von uns, dass wir Ihnen glauben, die Erzbischöfe hätten irrtümlich einen Vampir hinter Meena hergeschickt? Sind auch die Leichen in den Pine Barrens dort irrtümlich hingekommen?«
Bruder Henrique lächelte nur. »Das müssen Sie mit Ihren Vorgesetzten ausmachen«, sagte er. »Ich habe nur dafür gesorgt, dass ihre Befehle ausgeführt wurden, ohne dass ich meinen eigenen Vorgesetzten in Gefahr brachte …« Er deutete eine Verbeugung zu Lucien an.
»Was für Leichen?«, murmelte Meena.
Alaric antwortete mit müder Stimme: »Die toten Touristen. Er hat sie nach Pine Barrens gebracht. Dort ist ein Höllenschlund. Abraham und die anderen waren da … deshalb konntest du sie nicht spüren. Höllenschlunde sind tote Gebiete. Dort existiert nur das Böse.«
Meena erinnerte sich daran, dass Abraham ihr am Tag vorher im Auto Höllenschlunde genauso erklärt hatte – es kam ihr vor, als sei es tausend Jahre her.
»Ich verlange keine Belohnung, Mylord«, sagte Bruder Henrique zu Lucien. »Ich habe nichts Außergewöhnliches getan … ich habe lediglich eine Gelegenheit genutzt. Wenn ich richtig gehandelt habe, dann lag das nur an Eurer Inspiration. Wenn man vom Feind nicht besiegt werden will, dann muss man seine Reihen infiltrieren und seine Truppen nach und nach durch die eigenen ersetzen.«
Meena lief ein Schauer über den Rücken, als sie die Gardisten im Schulhof betrachtete, von denen sie keinen erkannte. Sie blickten alle mit unerschütterlicher Loyalität zu Bruder Henrique.
Lucien hatte die ganze Zeit über recht gehabt: Ihr eigener Arbeitgeber hatte hinter den Angriffen auf sie gestanden.
Den Dämonen konnte sie noch irgendwie vergeben. Sie konnten nichts dafür. Aber die Menschen, die das zugelassen hatten, die Bruder Henrique unterstützt hatten, obwohl er ein Vampir war? Wie konnte so etwas passieren? Wie konnte es sein, dass niemand – außer Alaric, der ihn die ganze Zeit schon gehasst hatte – etwas gemerkt hatte?
Schließlich sagte Lucien etwas. Seine Stimme war jetzt nicht mehr donnernd.
»Das hast du gut gemacht«, lobte er Bruder Henrique. »Gib mir das Mädchen, und ich überlasse dich wieder deinen … Aktivitäten.«
»Was?« Meena glaubte ihren Ohren nicht zu trauen.
Und sie war nicht die Einzige. Über den Schulhof ging ein empörtes Raunen, von den Menschen jedenfalls.
»Danke, Mylord«, sagte Bruder Henrique und verbeugte sich erneut. Er strahlte vor Freude. »Ich wusste, Ihr würdet es billigen, wenn Ihr erst einmal die Wahrheit erfahrt.«
»Was ist denn das für ein kompletter Blödsinn?«, stieß Carolina hervor, die neben Abraham stand.
Einige Vampire um sie herum kamen näher, aber Carolina hatte die Phiolen mit Weihwasser in Meenas Tasche entdeckt und hielt sie drohend hoch. Schwester Gertrude zog ihre Berettas, während Abraham den SuperStaker entdeckt hatte und schon bald herausfand, was passierte, wenn er auf den Abzug drückte. Es gelang ihnen, die Vampire um sie herum auf Distanz zu halten, aber keiner
vermochte zu sagen, was passieren würde, wenn sie keine Munition mehr hatten.
»Lucien«, sagte Meena und musterte ihn besorgt. Vielleicht bluffte er ja nur. Lucien konnte diesen … diesen Typen doch unmöglich davonkommen lassen.
Doch sie sah in seinem Gesicht nicht das leiseste Anzeichen dafür, dass er das, was er zu Bruder Henrique gesagt hatte, nicht auch so gemeint hatte.
»Komm, Meena«, sagte er und winkte ungeduldig.
»Aber er wird sie töten«, erwiderte sie. »Er wird sie alle töten.«
Luciens Stimme war hart. »Meena, sie wollten dich sterben lassen. Willst du dein Leben hingeben, um solche Leute zu retten? Das glaube ich nicht. Komm, wir gehen.«
Meena blickte zu Alaric. Er war am Türrahmen heruntergesunken, weil er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Offensichtlich musste er schon kämpfen, um nicht das Bewusstsein zu verlieren. Mühsam hob er den Kopf und sagte: »Meena, geh einfach.«
»Sie haben gehört, was der Mann gesagt hat«, sagte Bruder Henrique. Den Ausdruck in seinen dunkelbraunen Augen konnte sie nicht deuten. So hatte er während des Fernsehinterviews auch Genevieve Fox angesehen.
Aber auf einmal wurde ihr klar, was der Ausdruck bedeutete.
Es war Triumph. Er hatte gewonnen.
»Er möchte, dass Sie gehen«, erklärte Bruder Henrique lächelnd.
»Nein«, sagte Meena und schüttelte den Kopf.
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