Endless: Roman (German Edition)
noch nie an dir geseh…«
Sie legte ihm die Hand über den Mund. Er sollte nicht darüber sprechen, wie gut er ihre Garderobe kannte.
Und vor allem sollte er sie nicht nach der Kette fragen. Diese Fragen ließen ihr Herz viel zu schnell schlagen, und sie war sich sicher, dass er das durch den dünnen Stoff ihres Kleides spüren konnte.
»Konzentrier dich lieber auf das, was hier wichtig ist«, sagte sie. »Das Buch deiner Mutter, das Mary Lou gerade gestohlen hat?« Sie versuchte, fest und sicher zu klingen, aber es kostete sie viel Kraft. »Es ist das Buch aus meinen Träumen, von dem ich dir gestern Abend erzählen wollte. Ich habe es vor ein paar Monaten bei der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek angefordert, Lucien. Und das bedeutet, dass etwas wirklich Unheimliches vor sich geht … neben dem normalen Dämonen-Unheimlichen, das immer mit dir in Verbindung steht. Zuerst wurde David in einen Vampir verwandelt, und jetzt wird mein Boss vermisst, der sich auf die Suche nach Davids Frau gemacht hat. Und noch ein Haufen anderer Leute ist verschwunden. Und doch wurde seit Monaten kein Vampir mehr gesehen. Und es gibt keine Leichen. Wo sind all die Leichen?«
Lucien zog ihre Hand von seinem Mund, hielt aber ihr Handgelenk mit eisernem Griff umklammert.
»Ich muss aufrichtig mit dir sein«, sagte er und musterte sie. »Ich finde diese Kette nicht besonders schön. Mir wäre wohler, wenn du sie abnehmen würdest.«
»Nun, ich möchte auch aufrichtig mit dir sein«, entgegnete sie und zog ihr Handgelenk aus seinem Griff. »Ich trage diese Kette nur, weil Mitglieder deiner Spezies ständig
versuchen, mich zu beißen. Wenn es dir also nichts ausmacht, möchte ich sie lieber anbehalten.«
»Jetzt bin ich ja hier«, konterte Lucien. »Jetzt brauchst du keine Kette mehr zu deinem Schutz.«
Seine Stimme war lauter geworden, wie immer, wenn jemand nicht seiner Meinung war.
Und das rote Leuchten in seinen Augen war nun deutlich zu sehen.
»Lucien«, sagte Meena und versuchte, sich aus seiner Umarmung zu befreien, »was ist los mit dir? Lass mich los.«
»Er hat sie dir gegeben, nicht wahr?« Lucien packte sie noch fester. »Alaric Wulf.«
Er sprach den Namen wie einen Fluch aus. Seine Pupillen loderten wie Flammen.
Meenas Herz schlug schneller. Aber dieses Mal hatte sie Angst um Alaric.
»Nein«, log sie. »Warum sollte er mir ein Geschenk machen? Wir sind nur Kollegen, die zusammenarbeiten.«
»Weil er dich liebt«, antwortete Lucien. »Und du empfindest anscheinend auch etwas für ihn, sonst würdest du nicht lügen.«
»Ich empfinde nichts für ihn«, erklärte sie. »Wir sind Freunde, aber …«
»Du empfindest mehr für ihn als nur Freundschaft«, sagte Lucien. »Im Moment hast du Angst um ihn. Ich spüre, wie dein Herz pocht …«
»Weil du mich viel zu fest hältst«, erwiderte Meena. »Du schnürst mir ja die Luft ab. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mich loslassen könntest, damit wir wie vernünftige Menschen darüber sprechen könnten.«
Er ließ ihr Handgelenk los, umfasste aber mit beiden Händen ihr Gesicht.
»Meena« – seine Stimme war rau –, »du verstehst immer noch nicht. Ich kann nicht vernünftig sein. Nicht wenn es um dich geht. Und ich bin kein Mensch. Nicht mehr.«
»Lucien« – Mitgefühl überkam sie, und sie streichelte ihm über die Wange –, »natürlich bist du das, zumindest ein Teil von dir. Verstehst du das denn nicht? Ich glaube, in meinem Traum geht es darum, dass ich versuche, dir zu sagen, dass du immer noch eine Wahl …«
»Nein.« Er legte seine Hände auf ihre Schultern. Sie merkte, wie er sich zurückhielt, aber es kostete ihn große Mühe. »Ich habe keine Wahl mehr. Das versuche ich dir die ganze Zeit zu sagen. Was aus mir geworden ist, ist besser, als ein Mensch zu sein.«
Sie ließ die Hände sinken. »Lucien«, sagte sie entsetzt, »das meinst du doch nicht wirklich.«
»Warum nicht?«, entgegnete er. »Was ist denn an Menschen so großartig? Du hast es doch selber gesagt. Deine eigenen Arbeitgeber – die Menschen sind – haben dich hereingelegt und missbraucht. Nicht nur heute Abend, sondern gestern Abend auch.«
Verwirrt blinzelte sie ihn an. »Wieso? Was …«
»Glaubst du, es war ein Zufall, dass gerade David, den du nie im Verdacht gehabt hättest, verwandelt worden ist?«, wollte er wissen. »Natürlich nicht. Aber wer hätte das wissen sollen? Irgendein fremder Vampirclan? Das glaube ich nicht.«
»Was …?« Schockiert
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