Endless: Roman (German Edition)
blickte sie ihn an. »Glaubst du etwa, der Vatikan …«
»Sie wussten nicht, dass das Buch etwas mit mir zu tun hat, bevor du es angefordert hast, Meena. Dann jedoch haben sie es ausgestellt – und auch dich –, um mich hierherzulocken, damit sie mich töten können. Zuerst haben sie David geschickt, der dich angegriffen hat, damit ich aus meinem Versteck kam. Und dann haben sie mich mit dem Buch angelockt. Ich kenne sie seit fünfhundert Jahren, und in dieser Zeit hat sich nichts geändert. Sieh dir doch an, was sie mit ihren eigenen Angestellten machen, nur um an mich heranzukommen. Sieh dir doch bloß an, was sie mit dir gemacht haben!« Er zog sie fester an sich, passte dabei aber auf, dass er nicht zu nahe an ihr Kreuz kam. »Verlass sie. Komm mit mir. Mary Lou hat das Buch, und Emil und sie warten bestimmt schon auf mich. Nur du fehlst noch. Wir können fortgehen und nie mehr wiederkommen. Bei mir bist du in Sicherheit.«
»Aber …« Sie konnte nicht klar denken. Sie fühlte sich körperlich erschöpft … und geistig verwirrt. Was er gesagt hatte, machte Sinn …
Aber dadurch wurde es nur noch schlimmer.
»Verstehst du denn nicht, Lucien?«, sagte sie. »Wenn es stimmt, was du sagst, dann kann ich gar nicht gehen. Dann muss ich bleiben.«
»Warum?« Er schüttelte sie.
»Wer soll sie denn sonst aufhalten?«, entgegnete Meena.
Sie blickte hinter ihm auf das Gemälde, das sie immer geliebt hatte.
Er packte ihre Schultern fester.
»Du solltest aus ihren Fehlern lernen«, sagte Lucien drohend. »Ihr Kriegsherr verkaufte sie für zehntausend Francs
an den Feind. Und dann wurde sie von der Kirche als Verräterin und Ketzerin hingerichtet.«
Meena schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, was mit Lucien los war. Anscheinend hatte er Schreckliches durchgemacht, seit sie sich getrennt hatten, denn glücklich wirkte er nicht. Er konnte das, was er sagte, unmöglich ernst meinen. Das war nicht die Person, in die sie sich verliebt hatte …
… und auch nicht der kleine Junge, dessen Leben so voller Liebe und Licht gewesen war. Jede Nacht hatte sie ihn in ihrem Traum gesehen. Wieso war dieser Junge auf einmal so von Düsternis erfüllt … ?
»Nein«, sagte sie kopfschüttelnd. »Verstehst du nicht, Lucien? Wenn es stimmt, was du gesagt hast, muss ich einfach hierbleiben, damit jemand anderem nicht das Gleiche passiert wie David.«
Sie legte eine Hand auf seine Wange.
»Und ich glaube dir nicht«, fuhr sie fort, »wenn du sagst, dass du jetzt besser bist als ein Mensch. Ich kenne dich und weiß, dass ein Teil von dir – der beste, wichtigste Teil – immer noch menschlich ist. Und das ist der Teil an dir, den ich liebe. Versuch nicht, diesen Teil zu leugnen, Lucien. Denn ich glaube, das war die Botschaft meines Traums. Es könnte sein, dass gerade die Leugnung dich so …«
»Was?«, fragte er. Seine Augen funkelten gefährlich.
Sie schluckte. Sie hatte sagen wollen, dass er ihrer Meinung nach deshalb am Abend zuvor so krank gewesen war.
Doch nun wirkte er überhaupt nicht mehr krank. Sie hatte sich bestimmt geirrt.
»Nichts. Ich muss jetzt wirklich gehen, Lucien. Pass auf dich auf, nicht auf mich. Mich wollen sie nicht, aber wenn du hierbleibst, bringst du mich in Gefahr. Wenn du mich wirklich lieben würdest und mich beschützen wolltest, würdest du gehen. Und das sage ich nicht nur, weil ich dich liebe und möchte, dass du in Sicherheit bist. Ich sage es, weil es wahr ist. Wenn du bleibst, nimmt es für niemanden ein gutes Ende. Ich weiß es.«
Sie wusste es genauso sicher, wie sie gewusst hatte, dass Alaric und sie Abraham nie in Freewell hätten allein lassen dürfen. Wie sie vom ersten Tag an gewusst hatte, dass David jung sterben würde. Wie sie immer, wenn sie das Gemälde von Johanna von Orléans betrachtete, wusste, dass ihr wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal bevorstand.
Statt sie jedoch loszulassen, packte Lucien sie fester. Seine Augen blitzten rubinrot auf.
Er beugte sich zu ihr herunter und hob sie hoch.
»Lucien«, sagte sie erschreckt, »warte … was machst du da? Nein. Nicht …«
Sie spürte, dass seine Füße vom Boden abhoben, und schrie voller Entsetzen auf. Instinktiv schlang sie die Arme um seinen Hals, als er auf das Oberlicht in der Decke zusteuerte.
In diesem Moment öffneten sich die Aufzugtüren mit einem ding, und Alaric Wulf trat auf die Galerie.
»Meena«, sagte er, »ich habe dir doch gesagt, du sollst dich nicht vom Fleck rühren.«
Dann
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