Endlich Single: schon verliebt
sechs erstaunlich angenehme Nächte mit Alex vor ihrem Fernseher.
“Wegen der Höhe ist der Empfang bei dir besser”, hatte Alex am ersten Abend behauptet, ihr eine Riesenflasche entrahmte Milch und eine Familienpackung Schokokekse in die Hände gedrückt und es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht. “Es macht dir doch nichts aus, oder?”
Natürlich machte es ihr nichts aus. Tatsächlich war sie regelrecht begeistert, auch wenn bei ihr sämtliche Alarmglocken läuteten. Die entspannte Stimmung schuf eine ganz neue Vertrautheit. Abwechselnd lag Fred – wie üblich in intensive Schokokeksträume versunken – bei einem von ihnen über den Schoß drapiert, während sie gemeinsam herrliche alte Filme wieder entdeckten.
Nach dem Abspann unterhielten sie sich immer noch lange. Alex sprach über seine Arbeit in der Notaufnahme und über seine Familie. Er erzählte ihr, wie sehr er seine Arbeit liebte, und wie viel Spaß er mit seinem Bruder Max hatte. Im Gegenzug berichtete Nina von ihren Problemen im Verlag, von Jessicas Eigensinn, den nervtötend langweiligen Biographien und Charitys Buchprojekt.
Auf Charitys literarische Ambitionen reagierte Alex fassungslos. “Sie schreibt ein Buch über ihre Verabredungen?”
“Charity hat keine Verabredungen. Ihr Leben ist eine einzige Aneinanderreihung von Desastern. Nimm nur Carlton, den Doktoranden, mit dem sie im zweiten Studienjahr ausging. Himmel, war der verklemmt! Selbst der Sex musste nach Schema F ablaufen.”
Jetzt war Alex’ Aufmerksamkeit geweckt. “Unglaublich!”
“Sie nennt das Kapitel ‚Cliff: Was Sie schon immer über Sex wissen wollten’. Jessica bekommt eine Herzattacke, wenn sie die Kapitelüberschriften liest.”
“Sag nicht ‚Herz’!”
“Dann wäre da Kapitel fünf. Wilson. Er litt unter Impotenz.”
“Deine Freundin besitzt eine sadistische Ader!”
Da war etwas Wahres dran. In einigen Episoden ging Charity mit ihren Ex–Liebhabern tatsächlich ganz schön hart ins Gericht. Noch hielt Nina sich mit Kritik zurück. Das Letzte, was eine angehende Autorin während des ersten Entwurfs brauchte, war ein vernichtendes Urteil.
“Ich bin sicher, die Neufassung wird lockerer. Kapitel sechs beispielsweise ist urkomisch. Es geht um Ron, den Handelsvertreter.
“Lass mich raten. Er hatte in jeder Stadt eine andere?”
“In achtundvierzig Staaten. Sie nennt dieses Kapitel ‚Mobiler Dick’. Das werden wir ändern müssen.”
“Ich kann es kaum erwarten, Charity kennen zu lernen. Sie klingt hochinteressant.”
Auch Jessica war interessiert.
“Erzählen Sie mir von Charitys Buch”, bat sie Nina im Juni beim Lunch. Jessica, wie immer ganz stilvoll in Beigetönen gekleidet, war die einzige Frau aus Ninas Bekanntenkreis, die von Natur aus beigefarbenes Haar besaß. Sie befanden sich in Jessicas ebenso beigefarbenem Büro, aßen Joghurt und Kiwis und diskutierten die erforderlichen Änderungen in der Langeweilerbiographie. Unvorsichtigerweise erwähnte Nina, dass zumindest Charitys Erstlingswerk bei weitem ansprechendere literarische Qualitäten aufwies. Prompt horchte Jessica auf. Eine ihrer vielen guten Eigenschaften war ihre Weltoffenheit. Jessica war weder elitär noch prüde. Es störte sie nicht im Mindesten, dass Charity eine Boutique leitete, statt die Englischfakultät eines Colleges, oder dass sie über ihr Sexleben schrieb.
“Es ist eine anekdotenhafte Dokumentation der sexuellen Revolution”, hatte Nina ihr beim Aufsetzen des Buchvertrags erklärt. “Die Rolle der Frau im Spiegel der Zeit.”
Jessica gab ihr Okay, ohne auch nur das Exposé zu lesen. “Ich vertraue Ihrem Urteil.” Nina verdrängte das leise Schuldgefühl, das sie beschlich. Ihr Vorhaben war das Beste für Jessica und Howard Press. Manchmal musste man eben jemanden zu seinem Glück zwingen.
“Charitys Buch?” fragte Nina nun. “Sie hat mehr als die Hälfte fertig. Sieben Kapitel über die Erwartungshaltung an das weibliche Geschlecht am Beispiel einer High School in den Siebzigern und des Colleges in den Achtzigern. Kapitel sieben befasst sich mit ihrer ersten Erfahrung am Arbeitsplatz.”
Jessica hob eine fein geschwungene Augenbraue. “Sexuelle Belästigung?”
“In gewisser Weise. Ihr Boss verführte sie. Später kam sie dahinter, dass er regelrecht sexsüchtig war.”
“Faszinierend!”
Die Kapitelüberschrift “Die Lunte brannte lichterloh” verschwieg Nina lieber.
“Presley dachte immer nur an das eine”, hatte Charity erklärt.
Weitere Kostenlose Bücher