Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition)
etwas an meinem Leben verändern würde. Aber … ich könnte mir etwas anderes vorstellen. Weißt du, dass ich früher wahnsinnig gern Motorrad gefahren bin? Virginia und ich waren mit Anfang zwanzig in Europa unterwegs. Wir haben uns Motorräder geliehen und sind überall herumgefahren. Sie auf einer Ducati, und ich hatte eine Suzuki.«
»Im Ernst? Nein, das wusste ich nicht.« Ich mustere Helen. Lederjacke, Helm, Bikerstiefel? Wie kann es sein, dass ich so etwas nicht über sie weiß?
Sie seufzt. »Woher denn auch? Wir reden ja über nichts anderes als unsere Kinder.«
»Wirklich?«
Sie schüttelt den Kopf. »Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich die Fähigkeit verloren, das Leben an sich aufregend zu finden. Ich brauche dringend eine Veränderung …«
»Willst du wieder arbeiten gehen?«
»Nein, etwas Größeres.«
»Eine Scheidung?«
Sie schnaubt. »Vielleicht eine neue Gegend, ein neues Land …«
»Wie die Toskana?«
»Ja … oder Kalifornien.«
»Erdbeben«, merke ich an.
»Erdbeben sind doch aufregend.«
»Aufregende Sachen sind was für Singles«, erwidere ich. Wenn man an Kinder zu denken hat, will man an einem möglichst langweiligen, sicheren Ort sein, wo die Leute sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten und Teenager keine größeren Probleme haben als Fettleibigkeit.
»Wie ist sie denn so – Virginia, meine ich?« Noch während ich es ausspreche, frage ich mich, ob ich das wirklich wissen will.
»Stark und klug. In der Schule hat sie sämtliche Preise und Auszeichnungen abgeräumt. Liest unheimlich viel. Du kannst sie alles fragen – es gibt praktisch nichts, was sie nicht weiß. Sie hat über achtzig Länder bereist. Sie kann in hundert verschiedenen Sprachen ›Willst du mit mir schlafen?‹ fragen. Sie wurde schon mal von einem wütenden Nilpferd angegriffen, dem sie Auge in Auge gegenüberstand. Sie ist der absolut coolste Mensch, den ich kenne.«
»Ich dachte immer, ich sei der coolste Mensch, den du kennst.«
»Du bist die coolste Mutter, die ich kenne.«
»Ich glaube nicht, dass jemand den Angriff eines wütenden Nilpferds überleben kann«, brummele ich.
»Frag sie selbst. Wir haben zusammen ein paar ziemlich verrückte Sachen angestellt.«
»Zum Beispiel?«
»Na ja, da war diese kleine Orgie mit drei Kellnern, die wir uns in Spanien angelacht haben … und Drogen. Eine Menge Drogen.«
Während sie erzählt, spüre ich beinahe so etwas wie Bedauern in ihr. Aber bei Helen bin ich mir da nie ganz sicher. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt etwas getan hätte, das man als verrückt bezeichnen könnte. Heutzutage bin ich schon dankbar dafür, dass meine Kinder sich allein anziehen und frühstücken, in einen Bus steigen und allein zu Hause bleiben können, während ich schnell einkaufen oder ins Fitnessstudio gehe oder gar abends mit Frank irgendwo essen. Alles nichts, weshalb man gleich eine Party geben würde. Das Verrückteste, was ich in letzter Zeit getan habe, war ein Besuch in diesem Erotikladen in der Oxford Street. Ich bin mit einer Einkaufstüte voller Möglichkeiten wieder herausmarschiert, aber Frank und ich sind bisher nicht dazu gekommen, die diversen Spielsachen und Outfits auszuprobieren. Wir warten noch auf den richtigen Augenblick.
Frank und ich. Wir müssen uns inzwischen viel mehr Mühe geben, um das ausfindig zu machen, was uns zusammenhält, abgesehen von den Kindern. Aber das ist wohl normal. Wir waren gezwungen, immer näher zusammenzurücken, obwohl unser Umgang mit dem geteilten Raum von jeher ein zäh verhandelter Kompromiss zwischen einer ungewöhnlich unordentlichen Jungfrau und einem beinahe zwanghaften Ordnungsfanatiker war. Die Dynamik unseres Zusammenlebens musste sich verändern, weil irgendwann auch noch die Persönlichkeiten unserer Kinder darin Platz finden mussten: ein Extrovertierter mit mangelnder Impulskontrolle und eine künstlerisch veranlagte Introvertierte mit der Selbstbeherrschung eines hormonell bedingten Tsunamis.
Jede Entscheidung in unserer Familie – in welches Restaurant wir essen gehen, wohin wir in Urlaub fahren, ja sogar, was wir uns im Fernsehen anschauen – muss jetzt zwischen vier Parteien ausgehandelt werden. Früher, als es nur zwei waren, konnte ich oft meinen Willen durchsetzen, indem ich anbot, der anderen Partei einen zu blasen. Wir haben eine echte Gruppendynamik entwickelt, und die ist anstrengend. Die Realität und meine persönlichen Wünsche (die oft nicht dramatischer
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