Endstation Färöer
sechzig Meter erreicht hatten, drang wieder Licht in die Höhle. Es kam von der Seite durch ein weit oben liegendes Fenster und offenbarte ein zyklopisches Interieur. Mitten in der Grotte stand eine Säule. Sie hatte den Umfang eines Turms und trug allein das ganze Gewicht eines fantastisch konstruierten Gewölbes. An dieser Stelle kreuzten sich zwei Grotten. Der lange Gang, durch den wir hereingekommen waren, wurde im rechten Winkel von einem anderen gekreuzt, und beide setzten sich bis weit in die Gebirgsmassen hinein fort. Wir waren nicht in einer Höhle, sondern in einer Höhlenformation.
In der grünlichen Schwärze des Wassers lagen ein paar Seehunde und beobachteten uns, stumm und neugierig wie die Repräsentanten einer anderen Welt. Die Dunkelheit verdichtete sich hinter uns. Weit drinnen, am Ende des einen Grottenganges, leuchtete ein weißer Sandstrand. Aber das Wasser war zu unruhig, als dass wir diese schwierige Passage hätten rudernd bewältigen können. Der andere Grottengang verlor sich in totaler Dunkelheit. Mein Führer hatte noch nie das Glück gehabt, ihn erforschen zu können, und heute war es ganz unmöglich, sich in diese Katakombe hineinzuquetschen. Wir mussten uns an die große Säulenhalle halten, wo wir lange blieben und auf den Wellen schaukelten, überwältigt von der dämonischen Dämmerung und dem titanischen Lärm. Wir kehrten durch ein anderes Portal zur Welt zurück. Der weite, gesunde Atem des Meeres schlug uns entgegen und befreite mein Herz von einem unbeschreiblichen Druck.
Schon bei Jørgen-Frantz Jacobsen war offensichtlich, dass man nur bei völliger Windstille in die Nähe der Grotten kam.
War denn kein Bild von Sjeyndir in einem der Bücher? Ich selbst war auf Streymoy nie weiter nördlich als bis Trørnuvík gelangt, darum hatte ich keine Ahnung, wie es bei Sjeyndir aussah.
In vielen Büchern wimmelte es nur so von schönen Fotos der verschiedensten Ecken auf den Färöern und mehrere Male war ich schon nahe dran, bei den Gebirgen nördlich von Saksun. Erst in dem Fotoband des Franzosen Franceschis gab es ein Foto von der Felswand bei Sjeyndir. Das Bild sagte mir nicht besonders viel. Es war schwarz-weiß und zeigte eine raue Felswand, die ins Meer herabfiel.
Die Formationen ähnelten Elefanten. Den Elefanten von Carlsberg. Mit gesenkten, zum Angriff bereiten Köpfen.
Ich schob die Bücher zur Seite, lehnte mich auf dem Stuhl zurück und versuchte nachzudenken.
Wenn wir davon ausgehen, dass Sonja mit 7-dir Sjeyndir gemeint hat, warum hat sie es in den Computer getippt? Ich konnte keinen Sinn darin sehen, dass Sonja mitten in der Nacht zum Bladet fuhr, um 7-dir in den Computer zu schreiben. Ob es nun Sjeyndir bedeutete oder nicht – und daran zweifelte ich langsam. Welche Bedeutung konnte Sjeyndir für sie gehabt haben? Ich war mir fast sicher, dass sie nie dort gewesen war.
Etwas anderes musste dahinterstecken. Aber was? Und wo konnte ich es finden? Die kurze Bezeichnung war im Computer, also war die Chance, dass es dort auch eine Beschreibung gab, ziemlich groß. Oder jedenfalls ein Stichwort.
Die Jobliste, die ich im Bladet ausgedruckt hatte, sah auf dem Papier genauso normal aus wie am Bildschirm. Artikel, Reportagen. Gewöhnliche Zeitungsarbeit.
Die Übersicht umfasste mehr als ein Jahr, deshalb war sie lang und es dauerte eine Weile, ehe ich sie durchgesehen hatte. Das Ganze sah ziemlich gewöhnlich aus, aber sicher konnte ich mir erst sein, wenn ich jedes einzelne Dokument im Computer untersucht hatte. Das würde mehrere Tage dauern, deshalb suchte ich nach einem anderen Ausweg.
War da überhaupt etwas, wonach ich suchen konnte? Es war ziemlich hoffnungslos.
Ich studierte die Liste erneut. Was stand da? Was hatte da schon die ganze Zeit gestanden? › DIR ‹ . Sonja hatte einen Teil ihres Materials in Unterbibliotheken geordnet und jede von ihnen hatte die Endung › DIR ‹ .
7-dir konnte also Nummer sieben bedeuten. Hatte Sjeyndir also gar nichts mit der Sache zu tun?
Ich zählte bis zum siebten › DIR ‹ , davor stand Krieg. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass Sonja vor geraumer Zeit eine Artikelserie über den Zweiten Weltkrieg geschrieben hatte. Anlass war der 50. Jahrestag jenes 1. September gewesen, an dem die größte Götterdämmerung in der Geschichte der Menschheit begonnen hatte. Die Chance, dass ich in diesem Material etwas finden würde, war nicht sehr groß. Ich wusste ja nicht einmal, ob Sonja mit dem rätselhaften 7-dir
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