Endstation Färöer
überhaupt darauf hinweisen wollte. Auf jeden Fall musste ich noch einmal zum Bladet.
Die Sirene der Schiffswerft hatte mir vor ein paar Minuten mitgeteilt, dass jetzt Mittagspause war. Also musste ich ein oder zwei Stunden warten.
Im Ausland hatte ich mich daran gewöhnt, abends warm zu essen, deshalb war ich nicht besonders hungrig. Was sollte ich machen, bis ich an den Computer herankonnte?
Ich dachte erneut nach. Ich musste aufpassen, dass das nicht zur Gewohnheit wurde. Jetzt war es Hugo, der mir im Kopf herumspukte. Er hatte etwas von mir gewollt, was, das wusste ich nicht, und außerdem war da etwas höchst Merkwürdiges in seinem Haus vor sich gegangen. Irgendjemand hatte Hugo umgebracht und mich niedergeschlagen, und das sicher nicht aus reinem Jux, selbst wenn ich ein paar Leute kannte, die ein Vergnügen daran gehabt hätten.
War etwas an Hugo Haus, worauf ich nicht geachtet hatte? Ich war einer Spur nahe, konnte sie aber nicht fassen. Stattdessen fielen mir alle unsere heimlichen Spiele wieder ein. Hugo hatte mir eine unsichtbare Schrift beigebracht. Ich glaubte mich zu erinnern, man schrieb dabei mit Zitronensaft, und das Geschriebene kam zum Vorschein, wenn man das Papier ans Feuer hielt. Hugo liebte solche Geheimniskrämerei. Er hatte immer noch ein Versteck in seinem Zimmer. Ich sprang auf. Das war es, was mir im Kopf herumgespukt hatte. Hugos Versteck in einem Hohlraum unter den Bodendielen. Man musste den Teppich ein wenig wegziehen, ein Brett anheben und schon war da ein ganz nettes Versteck.
Ich trug die Bücher zum Tresen, aber die Bibliothekarin war so sehr mit dem Radio beschäftigt, dass sie mich kaum wahrnahm, als ich mich verabschiedete und ging.
11
Eine schmale Treppe führt von der J. C. Svabosgøta zur Rættará hinunter. Aus allen Häusern hörte ich die Rundfunknachrichten: Noriega, Polen, Gorbatschow. Noch ein großer Fabriktrawler war Konkurs gegangen. Das Land verspürte brennenden Schmerz. Die Besitzer kauften ein solches Schiff meistens zum halben Preis zurück. Es war nicht nötig, die Nachrichten zu Hause zu hören, man brauchte nur zwischen den Häusern herumzulaufen, um alles mitzubekommen. Als ich Müllers Lagerhaus erreichte und in die Skálatrøð einbog, verlor ich den Faden. Die Häuser waren jetzt zu weit entfernt, außerdem kam jetzt nur noch der Veranstaltungskalender, und wo es Bingo oder Gottesdienste gab, konnte mir egal sein.
Die Anzahl der Boote in der Vestara Vág war enorm, sie schienen sich zu vermehren. Jedes Mal wenn ich sie sah, kam es mir vor, als sei die Menge wieder gewachsen. An der Rasmus’ Bro, wo die Milchboote Tróndur und Sigmundur früher angelegt hatten, lag jetzt ein weißer Zweimaster. Ich verstehe nicht viel davon, deshalb konnte ich nicht sagen, um welchen Bootstyp es sich handelte, aber es sah gut aus. Die Flagge am Achtersteven ähnelte der niederländischen mit drei Querstreifen in Rot, Weiß, Blau. Aber in der Mitte war ein Symbol, also kam es wohl aus einem anderen Erdteil. Vor allem jüngere Länder hatten häufig irgendein Zeichen in ihrer Flagge.
Vaglið und die Niels Finsensgøta waren menschenleer, nur in der Konditorei sah man neugierige Gesichter aus den Fenstern spähen. Die Sackgasse zu Hugos Haus genauso lebendig wie gestern Abend – wie ein Grab. Doch ich glaubte von irgendwoher Mittagsmusik zu hören.
Die Außentür war versiegelt. Also war die Polizei da gewesen. Das freute mich, denn so wurde mir Hugos Leiche erspart, aber wie sollte ich jetzt hineinkommen? Auf keinen Fall wollte ich mitten auf der Straße stehen und in aller Öffentlichkeit das Polizeisiegel aufbrechen, und das galt auch für die Kellertür. Auf dieser Seite der Straße stand kein Fenster offen, und als ich in den Hof kam, sah ich nur das gleiche Siegel und die gleichen geschlossenen Fenster.
Während ich dastand und überlegte, ob ich eine Scheibe einschlagen oder lieber gleich das Siegel brechen sollte, fiel mein Blick auf die Kellertür. Mit dem Siegel stimmte etwas nicht, es schien lose zu sein. Ich ging hin und schaute es genauer an. Es war gelöst und schlampig wieder aufgeklebt worden.
Sinn eines Siegels ist ja nicht, jemanden daran zu hindern irgendwo hineinzukommen. Aber man kann sofort sehen, ob jemand da gewesen ist. Hier musste es sich um eine Person handeln, der es völlig egal war, ob die Polizei wusste, dass jemand da gewesen war. Oder hielt sie sich immer noch hier auf? Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter. Ich hatte keine
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