Endstation für neun
Kollberg belehrend. »Er sitzt dahinten.«
Der junge Mann ging zu Melanders Schreibtisch und legte den Umschlag darauf ab. Als er den Raum schon wieder verlassen wollte, sagte Kollberg:
»Ich habe nicht gehört, dass du angeklopft hast.«
Der Jüngling blieb mit der Hand auf der Türklinke stehen, entgegnete aber nichts. Es war still im Raum. Dann sagte Kollberg langsam und deutlich, so wie man einem Kind etwas erklärt:
»Ehe man einen Raum betritt, klopft man an die Tür. Anschließend wartet man, bis man zum Eintreten aufgefordert wird. Danach öffnet man die Tür und tritt ein. Verstanden?«
»Ja«, sagte der junge Mann mit belegter Stimme und starrte auf Kollbergs Füße.
»Schön«, sagte Kollberg und kehrte ihm den Rücken zu.
Der junge Mann huschte rasch zur Tür hinaus und schloss sie lautlos hinter sich.
»Wer war das denn?«, fragte Gunvald Larsson. Kollberg zuckte mit den Schultern.
»Hat mich doch tatsächlich an Stenström erinnert«, meinte Gunvald Larsson.
Melander legte seine Pfeife weg, öffnete den Umschlag und zog ein zentimeterdickes Heft mit grünem Einband heraus. »Was ist das?«, fragte Martin Beck. Melander blätterte in dem grünen Heft.
»Das Kompendium der Psychologen«, sagte er. »Ich habe es binden lassen.
»Aha«, sagte Gunvald Larsson. »Und was haben sie für geniale Theorien? Dass unserem armen Massenmörder in der Pubertät mal verweigert worden ist, Bus zu fahren, weil er kein Geld für einen Fahrschein hatte? Ein Erlebnis, das so tiefe Spuren in seiner empfindsamen Seele…« Martin Beck unterbrach ihn. »Das ist nicht komisch, Gunvald«, sagte er heftig. Kollberg warf ihm einen kurzen erstaunten Blick zu und wandte sich an Melander:
»Und, Fredrik, was hast du aus dem Schmöker erfahren?« Melander kratzte seine Pfeife auf einem Blatt Papier aus, faltete es zusammen und warf es in den Papierkorb. »Wir haben ja keine schwedischen Präzedenzfälle«, sagte er. »Es sei denn, man geht zeitlich bis zu Nordlunds Massaker auf dem Dampfer Prins Carl im Jahr 1900 zurück. Man hat sich also hauptsächlich auf amerikanische Untersuchungen stützen müssen, die in den letzten Jahrzehnten durchgeführt wurden.« Er blies prüfend in seine Pfeife und begann sie zu stopfen, während er weitersprach:
»Im Gegensatz zu uns mangelt es den amerikanischen Psychologen nicht an Material, das sie heranziehen können. In diesem Kompendium befasst man sich unter anderem mit dem Würger von Boston, mit diesem Speck, der acht Krankenschwestern in Chicago ermordet hat, mit Whitman, der sechzehn Personen von einem Turm aus getötet und viele weitere verletzt hat, oder Unruh, der in New Jersey auf die Straße ging und dreizehn Menschen in zwölf Minuten erschoss, und noch ein paar mehr, von denen ihr sicher schon einmal gelesen habt.« Er blätterte in dem Kompendium.
»Massenmord scheint eine amerikanische Spezialität zu sein«, bemerkte Gunvald Larsson.
»Ja«, sagte Melander, »es gibt in diesem Kompendium einige ziemlich plausible Theorien dazu, warum das so ist.«
»Die Verherrlichung von Gewalt«, sagte Kollberg. »Die Leistungsgesellschaft. Der Verkauf von Schusswaffen per Versandhauskatalog. Der brutale Krieg in Vietnam.« Melander saugte Feuer in seine Pfeife und nickte. »Unter anderem«, sagte er.
»Ich habe irgendwo gelesen, dass von tausend Amerikanern einer oder zwei potenzielle Massenmörder sind«, sagte Kollberg. »Fragt mich nicht, was man angestellt hat, um zu diesem Schluss zu kommen.«
»Marktforschung«, sagte Gunvald Larsson. »Auch so eine amerikanische Spezialität. Man geht von Haus zu Haus und fragt die Leute, ob sie sich vorstellen können, einen Massenmord zu begehen. Zwei von tausend sagen: Ja, natürlich, wäre doch nett.« Martin Beck schnäuzte sich und sah Gunvald Larsson verärgert und mit geröteten Augen an. Melander lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und streckte die Beine aus.
»Was sagen denn deine Psychologen über die Beschaffenheit eines Massenmörders?«, fragte Kollberg. Melander blätterte zu einer bestimmten Seite in dem Kompendium und las:
»Er ist vermutlich unter dreißig, oft schüchtern und zurückhaltend, wird von seiner Umgebungjedoch als bieder und strebsam wahrgenommen. Es ist denkbar, dass er Alkohol trinkt, aber es kommt häufiger vor, dass er Antialkoholiker ist. Wahrscheinlich ist er eher klein oder mit einem Gebrechen oder einem anderen körperlichen Defekt behaftet, der ihn von gewöhnlichen Menschen unterscheidet.
Er
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