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Endstation für neun

Endstation für neun

Titel: Endstation für neun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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wirkte unstet und unsicher. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihre Lippen waren trocken und rissig. Sie konnte ihre Hände nicht still halten und hatte große giftgelbe Nikotinflecken auf den Unterseiten von Mittel und Zeigefinger der linken Hand. Auf dem Tisch lagen fünf angebrochene Zigarettenschachteln. Sie rauchte eine dänische Marke, Cecil. Äke Stenström hatte gar nicht geraucht. »Was willst du?«, fragte sie unfreundlich.
    Sie trat an den Tisch, schüttelte eine Zigarette aus einer der Schachteln, zündete sie mit zitternden Händen an und ließ das abgebrannte Streichholz zu Boden fallen. Dann sagte sie:
    »Nichts, natürlich. Genau wie dieser Idiot Rönn, der hier herumgesessen und zwei Stunden lang den Kopf geschüttelt hat.« Kollberg erwiderte nichts.
    »Ich werde das Telefon abstellen lassen«, sagte sie unvermittelt.
    »Gehst du nicht arbeiten?«
    »Ich bin krankgeschrieben.« Kollberg nickte.
    »Leider«, sagte sie. »Meine Firma hat so einen Betriebsarzt. Er meinte, ich sollte mich einen Monat auf dem Land ausruhen oder, noch besser, ins Ausland verreisen. Danach hat er mich nach Hause gefahren.«
    Sie nahm einen Lungenzug und klopfte die Asche ab, die größtenteils neben dem Aschenbecher landete. »Das ist jetzt drei Wochen her«, fuhr sie fort. »Es wäre viel besser gewesen, wenn ich ganz normal weiter zur Arbeit hätte gehen dürfen.«
    Sie machte abrupt kehrt und ging zum Fenster, schaute auf die Straße hinunter und zupfte mit den Fingern an der Gardine. »Ganz normal«, sagte sie vor sich hin.
    Kollberg wand sich unbehaglich auf seinem Stuhl. Die Sache schien schlimmer zu werden als erwartet.
    »Was willst du?«, fragte sie, ohne sich umzublicken. »Um Gottes willen, antworte mir. Sag irgendwas.«
    Irgendwie musste er ihre Isolation durchbrechen. Aber wie?
    Kollberg stand auf und ging zu dem großen, mit Schnitzereien verzierten Bücherregal. Betrachtete die Buchrücken und nahm einen der Bände heraus. Es war ein ziemlich altes Buch, Otto Wendels und Arne Svenssons »Handbuch der Tatortuntersuchung« von 1949. Er blätterte an den Titelseiten vorbei und las:
    Dieses Buch wird in einer nummerierten Auflage veröffentlicht, von der dieses Exemplar die Nr. 2080 trägt, bestimmt für Kriminalwachtmeister Lennart Kollberg. Das Buch hat sich zum Ziel gesetzt, Polizisten bei ihrer oftmals schwierigen und verantwortungsvollen Arbeit an den Tatorten ein Leitfaden zu sein. Der Inhalt ist vertraulich, und die Autoren ersuchen deshalb jeden Einzelnen, Sorge dafür z u tragen, dass dieses Buch nicht in falsche Hände gerät.
    Die Worte »Kriminalwachtmeister Lennart Kollberg« hatte er selbst vor langer Zeit eingefügt. Es war ein gutes Buch, das ihm damals von großem Nutzen gewesen war. »Das ist mein altes Buch«, sagte er. »Dann nimm es mit«, erwiderte sie. »Nein. Ich habe es Äke vor ein paar Jahren geschenkt.«
    »Aha. Dann hat er es ja wenigstens nicht geklaut.« Er blätterte weiter, während er darüber nachdachte, was er sagen oder tun sollte. Hier und da hatte er Textstellen unterstrichen. An zwei Stellen entdeckte er mit Kugelschreiber verfasste Anmerkungen, beide unter der Kapitelüberschrift »Lustmord«.
    Der Lustmörder (der Sadist) ist oft impotent, und seine Gewalttat ist in diesem Falle eine abnorme Maßnahme zum Erreichen sexueller Befriedigung.
    Jemand, mit Sicherheit Stenström, hatte den Satz unterstrichen. Daneben hatte er ein Ausrufezeichen gemalt und die Worte »oder umgekehrt« notiert.
    In einem Absatz weiter unten auf der Seite, der mit den Worten Im Falle eines Lustmordes kann das Opfer getötet worden sein begann, hatte er zwei Punkte unterstrichen, und zwar 4. nach dem Sexualakt, um eine Anzeige zu verhindern, und 5. durch den Schock.
    Am Seitenrand hatte Stenström folgenden Kommentar abgegeben: 6. um das Opfer aus dem Weg zu schaffen, aber ist es dann noch ein Lustmord? »Du, Asa«, sagte Kollberg. »Ja, was ist?«
    »Weißt du, wann Ake das hier geschrieben hat?«
    Sie kam zu ihm, warf einen flüchtigen Blick in das Buch und sagte:
    »Keine Ahnung.«
    »Äsa«, sagte er.
    Sie drückte ihre halbgerauchte Zigarette im übervollen Aschenbecher aus und blieb an der Tischkante stehen, die Hände locker vor dem Bauch gefaltet. »Ja, mein Gott, was ist denn?«, fragte sie. Kollberg musterte sie. Sie sah wirklich klein und kläglich aus. Heute trug sie ein kurzärmeliges blaues Oberhemd statt des gerippten Pullovers vom letzten Mal. Sie hatte eine Gänsehaut auf

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