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Endstation für neun

Endstation für neun

Titel: Endstation für neun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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auf dem Schreibtisch.« Kollberg stand auf und holte es. Es war von gleicher Art wie das Notizbuch, das sie in Stenströms Tasche gefunden hatten. »In dem Buch steht fast nichts drin«, sagte Asa Torell. Sie zog den rechten Wollsocken aus und kratzte sich unter der Fußsohle. Ihr Fuß war zart und schmal und graziös gewölbt mit langen, geraden Zehen. Kollberg betrachtete ihn. Dann schaute er in das Notizbuch. Sie hatte recht. Es stand so gut wie nichts darin. Auf der ersten Seite fanden sich Stichworte über den bedauernswerten Mann namens Birgersson, der seine Frau erschlagen hatte. Ganz oben auf der nächsten Seite stand ein einziges Wort. Ein Name. Morris.
    Asa Torell zuckte mit den Schultern. »Ein Auto«, sagte sie.
    »Oder ein Literaturagent aus New York«, meinte Kollberg. Sie stellte sich an den Tisch. Musterte die berüchtigten Fotos. Plötzlich schlug sie mit der flachen Hand auf die Tischplatte und sagte sehr laut:
    »Wenn ich wenigstens schwanger wäre!« Sie senkte die Stimme.
    »Er meinte, dass wir noch viel Zeit hätten. Dass wir damit warten sollten, bis er befördert wird.« Kollberg ging zögernd Richtung Flur. »Viel Zeit«, murmelte sie. Und dann:
    »Was soll jetzt aus mir werden?« Er drehte sich um und sagte:
    »So geht das nicht weiter, Äsa. Komm.« Sie drehte sich blitzschnell zu ihm um und sagte giftig: »Kommen? Wohin denn? Ins Bett? Ja klar.« Kollberg sah sie an.
    Neunhundertneunundneunzig von tausend Männern hätten ein schmächtiges, unterentwickeltes, blasses kleines Mädchen mit schlechter Haltung, zartgliedrigem Körper, schlanken nikotingelben Fingern und verhärmten Zügen gesehen. Ungekämmt und in sackartige Lumpen gehüllt und mit einer viel zu großen Wollsocke an einem Fuß.
    Lennart Kollberg sah eine physisch und psychisch komplizierte junge Frau mit loderndem Blick und verheißungsvoller Breite zwischen den Leistenfalten, verlockend und interessant und eine lohnenswerte Bekanntschaft.
    Hatte Stenström dasselbe gesehen, oder war er einer jener neunhundertneunundneunzig Männer gewesen und hatte nur unglaubliches Glück gehabt? Glück.
    »So habe ich das nicht gemeint«, sagte Kollberg. »Komm mit zu mir nach Hause. Wir haben viel Platz. Du bist lange genug allein gewesen.«
    Schon im Auto begann sie zu weinen.

22
    Es blies ein schneidender Wind, als Nordin an der Kreuzung Sveavägen und Rädmansgatan aus der U-Bahn kam. Er hatte den Wind im Rücken und ging mit schnellen Schritten den Sveavägen in südlicher Richtung hinab. Als er auf die Tegner gatan bog, gelangte er in den Windschatten und verlangsamte seine Schritte. Ungefähr zwanzig Meter von der Straßenecke entfernt lag eine Konditorei. Er blieb vor dem Schaufenster stehen und warf einen Blick hinein.
    Hinter dem Tresen saß eine rothaarige Frau in einem pistaziengrünen Kittel und telefonierte. Ansonsten befand sich kein Mensch in dem Laden.
    Nordin ging weiter, überquerte die Luntmakargatan und betrachtete ein Ölgemälde, das hinter der Glastür eines Antiquariats hing. Während er so dastand und überlegte, ob der Künstler beabsichtigt hatte, dass die Objekte auf dem Gemälde zwei Elche, zwei Rentiere oder vielleicht doch eher einen Elch und ein Rentier darstellten, hörte er hinter sich eine Stimme deutsch sprechen.
    »Mensch, bist du verrückt?«
    Nordin drehte sich um und sah zwei Männer die Straße überqueren. Erst als sie den Bürgersteig auf der anderen Seite erreichten, bemerkte er die Konditorei. Als Nordin eintrat, stiegen die beiden Männer eine gewundene Treppe hinter dem Tresen hinab. Er folgte ihnen.
    Das Lokal war voller junger Leute, und die Musik und das Stimmengewirr waren ohrenbetäubend. Er sah sich nach einem freien Tisch um, aber es schien keinen zu geben. Er fragte sich einen Moment, ob er Hut und Mantel ablegen sollte, beschloss jedoch, lieber kein Risiko einzugehen. In Stockholm konnte man niemandem trauen, davon war er fest überzeugt.
    Nordin musterte die weiblichen Gäste. Es gab mehrere Blondinen im Raum, aber auf keine von ihnen passte die Beschreibung der blonden Malin.
    Deutsch schien die vorherrschende Sprache zu sein. Neben einer mageren Brünetten, die offenkundig Schwedin war, gab es einen freien Platz. Nordin öffnete seinen Mantel und setzte sich. Legte den Hut auf den Schoß und dachte, dass Lodenmantel und Jägerhut eigentlich dazu beitragen sollten, dass er sich nicht allzu sehr von den zahlreichen Deutschen unterschied. Er musste eine Viertelstunde warten, bis die

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