Endstation Kabul
mit ihren Klarnamen, dazu noch in afghanischer Schrift, drucken ließen. Natürlich standen einige höhere Offiziere in der Öffentlichkeit, ihre Namen waren eh bekannt. Aber mich hätten freiwillig keine zehn Pferde dazu gebracht, mit meinem Klarnamen am Revers durch Kabul zu spazieren. Ich achtete nun noch mehr darauf, nichts Persönliches am Mann zu tragen. Wenn ich Post bekam, sorgte ich dafür, dass wirklich jeder Hinweis auf heimische Adressen vernichtet wurde, und zwar von mir persönlich.
Ein Zwischenfall vor dem Tor zeigte mir mal wieder, wie berechtigt meine Vorsicht bezüglich der Locals war. Vor der Hauptwache befand sich wie immer eine große Menge von Afghanen, die nach Arbeit suchten. Dass bei der ISAF gut bezahlt wurde, hatte sich sehr schnell bis in den hintersten Winkel dieser Millionenstadt herumgesprochen. Die Kontingente benötigten, zum Teil auch nur auf Tagesbasis, einheimische Hilfskräfte für verschiedenste Aufgaben. Diese Jobs waren natürlich heiß begehrt. Und so pilgerten schon vor Sonnenaufgang Hunderte Afghanen in Richtung des Camps und machten es sich vor dem Tor gemütlich. Dort warteten sie, oft geduldig, manchmal auch ungeduldig, auf die Offiziere der Kontingente und Nationen, die gegen acht an das Tor kamen und dort Hilfskräfte einstellten.
Nun war es Vormittag, kurz vor der Essenszeit, und die Menschenansammlung vor dem Tor hatte sich noch nicht wieder aufgelöst, obwohl die Jobs bereits alle vergeben waren. Der holländische Infanterieverband war zur Wache eingeteilt, Alex und ich gingen gerade an dem Wachgebäude vorbei. Da fuhr eines der typischen gelb-weißen Taxis japanischer Bauart vor und ein Mann stieg aus. Er ging einen Schritt auf das Tor zu und holte plötzlich eine Handgranate aus den Falten seiner Bekleidung. Dann zog er den Sicherungssplint und warf die Handgranate in Richtung der niederländischen Wache. Zum Glück war das Teil ein Blindgänger und detonierte nicht, aber da zog er schon eine zweite Granate, entsicherte sie und versuchte sie ebenfalls zu werfen. Dieser ganze Ablauf dauerte weniger als zwei, drei Sekunden. Noch bevor er die zweite Granate los wurde, schoss ein niederländischer Wachsoldat und traf. Der Mann kippte rücklings, mit der bereits entsicherten Handgranate in der Hand, in das hinter ihm stehende Taxi. Ein lauter Knall! Und dann sahen wir etwas Rauch und eine aufgeregt schnatternde, am Boden kauernde Menschenmenge. Im nächsten Augenblick detonierte die Handgranate und tötete den Werfer auf der Stelle. Das alles ging so schnell, dass wir kaum Zeit hatten zu reagieren oder der Wache hätten zu Hilfe eilen können.
Alex und ich hatten guten Grund, unser Schießtraining auf der nördlich unseres Camps gelegenen »Sheep Range« zu intensivieren. Dazu ließen wir uns noch zusätzlich Häuserattrappen von der Feldlagerbetriebskompanie anfertigen und trainierten wie die Wahnsinnigen. Für mich sollte sich dieses Training noch als sehr wertvoll erweisen, als ich später zu den niederländischen Kommandos abgestellt wurde. Der Handgranaten-Vorfall zeigte uns auch, wie schnell sich solche brenzligen Situationen zuspitzen können und wie wenig Reaktionszeit wir hatten. Langsam wurde ich paranoid und achtete wie ein Luchs auf meine Umgebung, sobald ich das Camp verließ.
In der Nacht erlebte ich auch noch meinen ersten Raketenbeschuss. Er war ziemlich unspektakulär. Ich hörte ein Zischen, das immer lauter wurde und sich über mich hinwegbewegte. Die Rakete flog über unser Camp und detonierte südlich davon. Am nächsten Tag fuhr die QRF zu der Abschussstelle, die ihr von der afghanischen Polizei gemeldet worden war. Die Raketen, oftmals chinesischer oder russischer Bauart, waren von den Attentätern auf die billigste Art und Weise in Stellung gebracht worden. Sie wurden auf einem X-förmigen Stahlträger grob in die Richtung des Camps gerichtet und per Autobatterie gezündet. Ein sehr effektiver Krieg des kleinen, armen Mannes. Die QRF fand am Abschlussort noch sechs weitere dieser Raketen, in Reihe geschaltet an einer Autobatterie. Durch den Rückschlag des Raketenantriebgases war offensichtlich die Verkabelung zu den weiteren sechs Raketen gerissen, weshalb diese nicht auch übers Camp gezischt waren. Die Raketenbeschüsse waren für einige Soldaten, besonders aus den Vorauskräften, zum Alltag geworden. Es kümmerte sie einfach nicht mehr. Keiner von ihnen hob den Kopf, wenn das schrille Zischen ertönte. Wenn die Raketen über sie
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