Endstation Kabul
aller Art – hatten alle Hände voll damit zu tun, all die geborgenen Minen, Raketen und Sprengmittel unschädlich zu machen. Und dann sollten wir ihnen gleich neue Arbeit beschaffen, indem wir unter hoher persönlicher Gefahr neue Routen erkundeten, deren Minenlage noch nicht geklärt war? Eine undankbare Aufgabe, aber einer musste es halt machen, damit die Mine Map vervollständigt und die Sicherheit erhöht werden konnte. Immerhin hatten wir Glück, es passierte nichts. Vielleicht lag es ja an unserem fatalistischen Motto: »Wer sucht, der findet – wer drauftritt, verschwindet!«
Währenddessen rückte die Loya Jirga immer näher. Man merkte es am Anstieg der Gewalt, die oft von außen nach Kabul hereingetragen wurde. Demonstrationen vor dem Haupttor wurden zur allgegenwärtigen Plage. Jeden Tag versuchte ein Pulk von Afghanen aus unbekannten Motiven ins Camp einzudringen, was Kraft kostete und zusätzliches Personal band. Dabei kam es immer wieder zu handfesten Auseinandersetzungen am Tor, die nicht selten blutig endeten. In einem Fall eskalierte die Situation. Die Wachen wussten sich nicht mehr zu helfen und baten um weitere Unterstützung, die dann in Form der Diensthundestaffel der deutschen Fallschirmjäger zügig eintraf. Weil im Islam Hunde als unreine Tiere gelten und die Menschenmenge deshalb auseinanderstob, konnte Schlimmeres verhindert werden. Auch der Bevölkerung merkte man die Unruhe wegen der bevorstehenden Loya Jirga an, es ging ja schließlich um die Zukunft eines jeden Einzelnen.
Nur allzu bekannt waren die blutigen Gewaltorgien, die einige Warlords in der Bevölkerung angerichtet hatten. Diese Warlords – mächtige und militärisch hochgerüstete Stammesherren – bewarben sich offen, zum Teil verdeckt in »unheiligen Allianzen« mit ehemaligen Todfeinden, um begehrte Plätze in der neuen Regierung und somit um legitimierte Machtpositionen. Darunter waren übelste Schlächter. Zuerst im Krieg gegen die Russen, anschließend gegen die eigene Bevölkerung und zu guter Letzt gegen die Koranschüler, die Taliban. Diese unberechenbaren Machtmenschen, oftmals tief in Drogengeschäfte verstrickt, schreckten im Vorfeld der Loya Jirga vor keiner wie auch immer gearteten Diskreditierung ihrer politischen Feinde zurück und taten alles, die Geschicke des afghanischen Volkes künftig maßgeblich zu bestimmen. Es brodelte. Nicht nur im Camp, sondern in der ganzen Stadt. In manchen Bezirken, wo verschiedene Ethnien Tür an Tür wohnten, kam man sich vor wie in einem Schnellkochtopf, kurz vorm Platzen. Den Soldaten, die tagtäglich zum Patrouillieren nach Kabul fuhren, merkte man die hohe Anspannung und Konzentration an. Jetzt steuert alles unweigerlich auf einen Höhepunkt zu, dachte ich. Ob gut oder schlecht, das hatten wir nicht in der Hand. Nur bei der Sicherheit und dem Drumherum konnten wir unseren Beitrag leisten.
Im Rahmen unserer Aufklärungsfahrten lernten wir das Hotel »Interconti Kabul« immer besser kennen. Es begann allmählich aus allen Nähten zu platzen. Pressevertreter aus aller Welt hatten sich hier einquartiert, weil sie sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Jedes der über 300 Zimmer war belegt. Wobei sowohl der Name »Interconti« als auch die Bezeichnung »Hotel« ein bisschen irreführend sind. In vielen Zimmern gab es keine Teppichböden, geschweige denn Toiletten. Auch richtige Betten waren rar gesät. Die wenigen gutausgestatteten Zimmer gingen an die einheimischen VIPs, alle anderen – vom Militär bis zu den Presseleuten – brachten sich ihre Feldbetten und teilweise sogar die Kochausrüstung selbst mit. Der Service beschränkte sich auf den Bereich in der Lobby, wo man auch essen und trinken konnte. Sogar Alkoholika waren zu bekommen. Einmal inspizierte ich auch die Küche. Und wenn ich verhungert wäre: Eine dort zubereitete Mahlzeit hätte ich unter keinen Umständen zu mir genommen, so übel waren die hygienischen Zustände.
Man muss dazu sagen, dass das Hotel schon lange nicht mehr zur Intercontinental-Hotelkette gehört. Auch wenn die Siebziger-Jahre-Plattenbauweise nicht unbedingt mein Fall ist, muss es einmal ein wunderschönes, komfortables und gepflegtes Haus gewesen sein, ein echtes Schmuckstück. Es lag mitten in der Stadt auf einem Höhenrücken, der Kabul fast in der Mitte in Nord und Süd unterteilt. An den Hängen standen, dicht an dicht, Weinreben, ein Geschenk aus Frankreich. Der Pool hinter dem Hotel glitzerte in der Dämmerung. Ich
Weitere Kostenlose Bücher