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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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gelacht, ich sah diesen jungen Männern ihre Erleichterung förmlich an. Am liebsten hätte ich mich bei ihnen eingereiht. Noch lagen etliche Wochen in diesem Land vor mir. Dass ich schon bald nach meiner Heimkehr wieder nach Afghanistan verlegen sollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht. Und vorstellbar war dies schon gar nicht. Wir wünschten unserem Passagier viel Glück und verabschiedeten uns von ihm.
    An unserem letzten Abend im Interconti machten Alex und ich es uns mit ein paar amerikanischen Journalisten vor dem Fernseher gemütlich. Von der Fußball-WM in Südkorea und Japan hatten wir bislang kaum etwas mitbekommen, aber jetzt gönnten wir uns das Spiel USA gegen Deutschland. Obwohl ich kein Fußballfan bin, war das eine schöne Abwechslung in dieser Eintönigkeit. Sehr zum Verdruss der amerikanischen Journalisten gewann Deutschland 1:0.
    Nach dem Abpfiff rauchte ich auf dem Balkon eine Zigarette und sah einer Horde Kinder beim Spielen zu. Nun durften sie es wieder, die Glücklichen. Die finsteren Steinzeitfundamentalisten, die Taliban, hatten diesen Zeitvertreib verboten. Noch vor nicht allzu langer Zeit waren Kinder mit Schlägen bestraft worden, wenn sie das Natürlichste auf der Welt taten: spielen. Endlich konnten und durften sie wieder lachen, scherzen und toben; ausgelassen spielten sie fangen. Ich gab mich – zumindest einen trügerischen Augenblick lang – der Illusion hin, dass alles in Ordnung sei. Dass diese Kinder ohne Krieg groß werden könnten und eine Zukunft in diesem Land haben. Dass unser Engagement hier doch zu etwas nütze war, wenn diese Kinder aufwachsen können, ohne noch mehr Leid zu erfahren. Dann schwenkte mein Blick zum Zelt der Loya Jirga, und mit einem Mal wusste ich es besser: Dieses Land hat noch einen unendlich langen und steinigen Weg vor sich, bis Frieden, Ruhe und Stabilität einkehren. Ein Weg, der auf des Messers Schneide stand – hier, direkt vor meinen Augen. Mich fröstelte.

Ich werde niederländischer Kommandosoldat
    Am 23. Juni morgens um sechs tranken Alex und ich unseren letzten Morgenkaffee im Interconti. In einer halben Stunde würden wir zurück ins Camp Warehouse verlegen, endlich! Wir begannen unsere Ausrüstung zu verpacken und lösten unsere Abseilstelle auf. Gut, dass wir sie nicht gebraucht hatten. Als letzte Amtshandlung verabschiedeten wir uns beide von dem Portier. Wir umarmten uns und wünschten uns alles Gute für die Zukunft. Ich freute mich auf eine ausgiebige, lange Dusche – mit klarem und nicht rehbraunem Wasser aus der Campversorgung. Zurück im Camp Warehouse dachte ich: Oh, hier sah es vor zwei Wochen aber noch ein bisschen anders aus! Das Erscheinungsbild und vor allem die Belegung hatten sich sehr verändert, viele Soldaten hatte ich hier noch nie gesehen. Das Kontingent befand sich im Wechsel. Offensichtlich setzte General Schlenker, der neue Kommandierende der KMNB im Camp Warehouse, andere Prioritäten als sein Vorgänger: Mülltrennung, ein sauberer Anzug und vor allem der ordentliche Schuhputz standen nun auf dem Programm – was bei dem elenden Wüstenstaub natürlich eine ziemlich sinnlose Maßnahme war. Man brauchte im Camp nur zwei Schritte gehen, und schon waren die Schuhe, eben erst frisch geputzt, wieder mit einer feinen Puderschicht aus Wüstensand bedeckt. Trotzdem habe ich später mitbekommen, wie Soldaten mit staubigen Stiefeln der Zugang ins Verpflegungszelt verwehrt wurde. Später ließ Schlenker noch ein Schild am Eingang des Camps aufstellen. Darauf stand, in zwölf Sprachen, »Wave and smile«. Soso. Winken und lächeln war also die neue Devise. Den Soldaten, die Tag für Tag in der Stadt auf Patrouille waren oder bei brenzligen Situationen mit der QRF ausrückten, war jedenfalls alles andere als zum Lächeln zumute. Einige wurden sogar fuchsteufelswild. Das Schild mit dem »Winken und Lächeln«-Mist musste sogar von extra eingeteilten Wachen beaufsichtigt werden, weil es immer wieder von frustrierten Soldaten beschossen wurde. Sehr oft bekam General Schlenker diese drastische Antwort auf seine Devise, und zwar von Soldaten nahezu aller Nationen.
    Kurz nach meiner Ankunft rief mich Major Schließmann vom J2 zu sich. Auch im Stab war viel passiert während der Loya Jirga, erzählte er mir. Das Datensammelsystem Jasmin war nun komplett installiert. In einem abgetrennten Bedienerraum wurden die Daten eingegeben. Vor einer Vielzahl von Computer-bildschirmen saßen Soldaten verschiedenster Nationen und

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