Endstation Kabul
speisten ihre Daten ein: sämtliche Aufklärungserkenntnisse des gesamten Einsatzverbands. Wegen der strengen Geheimhaltung war jeder Platz durch eine kleine Trennwand vom nächsten abgeschirmt. Dieser Anblick erinnerte mich an meine Schulzeit. Es sah so ähnlich aus wie in einem Sprachlabor. Das lauteste Geräusch in diesem Raum war das Sirren der Computer, ansonsten herrschte angestrengte Konzentration. Jeweils zwei Personen saßen vor einem Computer, leises Gemurmel erfüllte den Raum. Zu gerne hätte ich mal Mäuschen gespielt oder mich im eigentlichen, streng abgeschirmten Jasmin-Container innerhalb der »Zelle militärisches Nachrichtenwesen« an den Rechner gesetzt und hätte mir die Berichte der Nationen des Kontingents angesehen. Dies war natürlich nicht möglich. Major Schließmann verließ mit mir auch schnell den Raum und wir gingen in seine Abteilung zum Gespräch.
Es ging um meine weitere Verwendung. Ich war sehr gespannt, was er sich ausgedacht hatte. Schließmann eröffnete mir, er wolle mich den Korps Commando Troepen (KCT), einer dem deutschen KSK vergleichbaren Eliteeinheit des niederländischen Heeres, unterstellen. Entgegen dem deutschen KSK, das in Kandahar an der »Operation Enduring Freedom« der Amerikaner teilnahm, waren die niederländischen KCT eine voll ins Camp integrierte Einheit der KMNB. Er erzählte auch, dass er den niederländischen Kommandeur sehr gut kenne und dass auch der Fernspähtrupp vom Interconti bereits in diese Einheit eingegliedert war. Die KCT waren wegen anderer Aufträge im Ausland mit relativ wenigen Kommandosoldaten im Camp und konnten Unterstützung bei diversen Aufklärungsarbeiten gut gebrauchen.
Ich musste nur kurz überlegen, dann stimmte ich zu und fragte nach dem weiteren Ablauf. Schließmann meinte, dass ich schon in den nächsten Tagen dort vorgestellt werden solle. Die niederländischen Kommandos würden meine Fähigkeiten überprüfen und erst dann entscheiden, ob sie mich nehmen. Disziplinarisch sollte ich nun der Aufklärungskompanie, die hauptsächlich der Abteilung J2 zuarbeitete, unterstellt sein. Der dortige Hauptmann spielte mit und gab mir die Freigabe, hauptsächlich für die niederländischen KCT zu arbeiten. Ab 1. Juli fuhr ich also dreigleisig: Offiziell und disziplinarisch gehörte ich zur Aufklärungskompanie, wurde von dieser an die niederländischen Kommandos KCT abgestellt und hatte zusätzlich noch kleinere Nebenaufträge des deutschen Geheimdienstes. Langsam wurde mir mulmig, wenn ich an die Belastung dachte, die auf mich zukommen würde.
Marcel, einer der Fernspäher, den ich aus dem Interconti kannte, holte mich am 1. Juli ab und brachte mich in den Bereich, wo die KCT untergebracht waren. Um ganz ehrlich zu sein: Mir war in diesem Moment ganz schön bange. Ich kannte die Jungs von den Kommandos nicht, hatte aber einen großen Respekt vor Soldaten von Spezialeinheiten. Keine Ahnung, was mich erwartete – und was sie von mir erwarteten! In der OPZ der niederländischen Kommandos begrüßte mich der Chef der Kommandos, Major Goulden. Er war ein freundlicher, sympathischer Typ von Mitte bis Ende vierzig, was mich schon mal beruhigte. Er sagte, ich sei für die Kompanie 104 vorgesehen. Das sei ein Zug von 28 Kämpfern mit verschiedenen Spezialkenntnissen, plus sechs Leute in der OPZ. Mich wolle er zu acht Kommandosoldaten ins Team 4.11 stecken, das fürs Hochgebirge und für Antiterror-Einsätze spezialisiert sei. Das kann ja heiter werden, dachte ich mir. Ich hasse nämlich Berge und vor allem das Herumklettern in ihnen! Und »Antiterror-Einsätze« klang auch nicht gerade nach dem, wofür ISAF ins Land gekommen war, sondern eher nach der »Operation Enduring Freedom« der Amerikaner. Na ja, ich würde wohl sehen, wie sich das in der Praxis gestalten würde.
Mein neues Team gehörte bereits zum zweiten Einsatzkontingent der KCT, da Kommandosoldaten wegen der besonderen Belastung eine Stehzeit von nur drei Monaten haben. Demnach war mein Team zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Monate, nämlich seit Anfang Mai, im Einsatz. Das hieße, dass ich mit diesen Jungs nur einen Monat zusammenarbeiten würde. Danach sollte ich nahtlos in das dritte Einsatzkontingent der Kommandos überführt werden. Als Major Goulden mich zu meinen Fähigkeiten und Erfahrungen befragte, war mir klar: Jetzt gilt es. Natürlich wollte er wissen, was ich konnte und bisher getan habe. Also legte ich los. Seine Augen wurden groß und größer, als ich erwähnte,
Weitere Kostenlose Bücher