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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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für Hochgebirge gekommen war. Ich hatte zwar schon Lehrgänge im Gebirge absolviert, aber im flachen Land fühle ich mich irgendwie wohler.
    Im Camp sollte keiner mitbekommen, wie wir mit schwerer Ausrüstung aufbrachen. Unweigerlich wären Fragen aufgetreten, wo es denn hingeht und was wir dort machen. Am Abend des 17. Juli saß also das Team hinten versteckt in einem LKW, der voll aufgeplant war, und verhielt sich ruhig. In wenigen Stunden würde ich 36 Jahre alt, und ich stellte mich schon auf einen stillen Geburtstag oben auf dem Berg bei Paghman ein. Auf dem Weg zum KIA, wo die Hubschrauber standen, legten wir uns Gesichtstarnung an und zogen unsere kugelsicheren Westen aus. Diese hätten uns nur immobil und behäbig gemacht. Auf dem Flughafen warteten bereits zwei Maschinen mit laufenden Rotoren. Schwer beladen begab ich mich zügig in die Maschine. Niemand aus dem Team sprach laut oder bewegte sich hastig. Alles verlief ruhig und präzise, jeder Handgriff saß. Eine unaufgeregte, sachliche Professionalität. Nach dem Takeoff wurde auf Rotlicht umgestellt, um die Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ich erinnerte mich an die »Operation Stinger« und wie diese abgelaufen war. Hier sah ich, wie es richtig sein sollte.
    Unsere Schwesterteams, die über Land nach Paghman unterwegs waren, hatten einen zeitlichen Vorsprung, sodass sie bei unserer Anlandung per Hubschrauber bereits in der Nähe waren. Sollte also irgendetwas Unvorhergesehenes passieren, wäre in kürzester Zeit Hilfe vor Ort. Als die Bodenteile per Funk bestätigten, dass sie kurz vor Erreichen ihrer Ablauflinie standen, machten wir uns fertig zum Abflug. Diese Ablauflinien werden genauestens im Voraus berechnet. Sie bemessen sich daran, wie lange man jeweils mit dem Fahrzeug oder einem Luftfahrzeug für einen bestimmten Weg benötigt. Mit dieser Methode lassen sich die verschiedenen Geschwindigkeiten am Boden und in der Luft sehr gut zeitlich abstimmen. Als sich das Wapp, Wapp, Wapp der Rotoren steigerte, bemerkten wir ein Zunehmen der Vibration. Der Hubschrauber hob ab und drehte über links Richtung Westen. In diesem Moment kam ich mir wie auf einer Übung vor. Schon etliche Male hatte ich in Deutschland so etwas Ähnliches geübt. Ich wurde von Sekunde zu Sekunde ruhiger. Kurz hatte ich noch einen sarkastischen Gedanken: Falls mir etwas zustoßen sollte, stünde wenigstens der 18. Juli als Todestag auf meinem Grabstein und niemand müsste lange nachrechnen, wie alt ich geworden war: exakt 36 Jahre.
    Die Flugzeit betrug nur fünfzehn Minuten. Und das trotz Konturenfluges, wobei der Hubschrauber so tief wie möglich fliegt und sich den Bodenkonturen angleicht, bei Höchstgeschwindigkeit. Kaum waren wir in der Luft, bekamen wir das Zwei-Minuten-Zeichen vom Bordmechaniker. Wortlos standen wir auf auf, nahmen die Rucksäcke auf den Rücken und rückten eng nach hinten, Richtung Rampe. Wir warteten schon auf das Aufsetzen der Maschine, da hörten wir über Funk vom Hubschrauber, der uns vorausflog und die Landezone bereits überquert hatte, dass diese nicht sicher sei. Das muss nicht immer gleich das Schlimmste bedeuten, eine Ansammlung von Feinden zum Beispiel. Der Hubschrauber flog zwar tief, aber auch sehr schnell und hatte wegen der Dunkelheit keine optimale Sicht. Die Beobachter an den Türen nahmen lediglich Bewegungen wahr, konnten sie aber nicht zuordnen. Trotzdem erschrak ich und malte mir die verschiedenen Szenarien aus. Was könnte passieren? Hatte jemand Wind von unserer Operation bekommen? Sollte, sobald ich meinen Fuß auf den Boden setze, ein Gefecht losbrechen? Ich wusste es nicht und spannte mich an, bereit, sofort zu reagieren. Man konnte die erhöhte Konzentration in der ganzen Maschine spüren, das Adrenalin förmlich riechen. Wie vor manuellen Fallschirmabsprüngen aus großen Höhen bei Nacht.
    Der zweite Hubschrauber drehte engere Kreise um die Landezone und sicherte diesen Bereich durch an der Rampe postierte MG-Schützen aus der Luft. Quälend langsam öffnete sich die Heckrampe, und endlich konnten wir den Boden erkennen. Eine schwarze Masse bewegte sich auf das Heck des Hubschraubers zu. Ich spannte jeden meiner Muskel an, fasste die Waffe noch etwas fester. Das Zeichen »Waffen fertigladen« wurde gegeben. Ich zog den Hebel an der linken Seite der Waffe zurück und ließ ihn anschließend vorschnellen. Nun befand sich eine Patrone im Patronenlager, und der Schlagbolzen war gespannt. Der Boden kam immer näher. Wie ein

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