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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes
Autoren: Ingrid Strobl
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einverstanden. Nicht etwa, weil sie sich Sorgen um mich machte. Sondern weil Hotte, falls man uns erwischte, Chantal nicht mehr behalten konnte. Ich wusste, dass sie recht hatte. Ich wusste auch, dass ich gerade alles vermasselt hatte. Beschloss, ich würde Hotte anbieten, es allein durchzuziehen, wenn er mir sein Werkzeug dafür lieh. Ich bat Hertha, mit dem Taxi zu Paul zu fahren und ihm oder, falls er nicht da war, Aysche das Ding zu übergeben mit der Bitte, gut darauf aufzupassen. Rief ihr ein Taxi und wartete am Fenster, bis sie eingestiegen war. Dann legte ich mich ins Bett und stellte den Wecker auf zweiundzwanzig Uhr. Bevor ich einschlief, rekapitulierte ich, was sie nun alles doch nicht wussten. Es war einiges. Aber sie wussten trotzdem viel zu viel.

NEUNZEHN
    Jeder einzelne Hubbel schoss Stiche in meinen Kopf. Ich hatte mich aber nicht getraut, noch eine Ibu zu schlucken, denn benommen durfte ich nun gar nicht sein. Hotte stand an sein Rennrad gelehnt vor den Briefkästen. Er trug Lederhandschuhe, ich hatte meine in der Jackentasche.
    »Schaffste das?«
    Ich nickte automatisch, bereute es aber sofort. »Ja.«
    »Biste dir da ganz sicher?«
    »Ja.« Ich unterbreitete ihm meinen Vorschlag, das Ding allein durchzuziehen.
    »Du fährst mal besser nach Merheim und lässt dir die Birne durchleuchten.«
    »Hotte!«
    »Nix ›Hotte!‹ Jetzt wird gearbeitet. Also, ich hab mir die Hütte angeguckt. Was issen das ›Apsara-Institut‹ in der ersten Etage? Ist da nachts einer?«
    »Das was?«
    »Jetzt sag nicht, du warst da noch nie?«
    »Hotte, wann denn? Ich wollte ja, aber ich bin einfach nicht dazu gekommen.«
    »Unten ist die Wohnung von der Grimme. Und obendrüber das Dingens, Apsara-Institut.«
    In meinem armen zerschlagenen Kopf ging eine Glühbirne an.
    »Das ist die Absteige von ihrem Mann, wetten? Apsaras sind die Göttinnen am Tempel von Angkor Wat.«
    »Sprichst du auch Deutsch?«
    »Hör mal, das ist jetzt zu kompliziert. Der Mann von Frau Grimme hat beruflich was zu tun mit einem Tempel in Kambodscha. Und da gibt es Statuen, die heißen Apsaras. Deshalb nehme ich an, dass dieses Institut ihm gehört.«
    »Also is da jetzt auch keiner?«
    »Nö, wenn Grimme in Zürich ist, dann ist das ganze Haus leer. Oder sind da sonst noch Etagen?«
    »Nö. Also, ab die Post.«
    Er schwang sich auf das Rad, ich fuhr ihm hinterher. Er nahm nicht gerade den direkten Weg. Erst über die Liebigstraße auf die Subbelrather, dann quer durch Ehrenfeld, im Zickzack an Melaten entlang, die Aachener stadteinwärts bis zum Grüngürtel, runter Richtung Uni und schließlich die Dürener wieder stadtauswärts. In der Theresienstraße stellten wir die Räder ab und gingen bis zur Ecke Herderstraße. Hotte legte den Arm um meine Schulter und schlug einen gemächlichen Gang ein. Auf der Höhe eines Gartenzauns zog er etwas Metallisches aus der Jackentasche und öffnete damit das Tor. Ließ mir höflich den Vortritt. Führte mich dann um das Haus herum auf die Rückseite. Sah sich die Fenster der umliegenden Häuser an. Sie waren alle dunkel.
    Ich merkte, dass mein Herz raste. Dafür hatte ich kaum noch Kopfschmerzen. Adrenalin wirkt offenbar besser als Schmerztabletten. Ich zog mir die Handschuhe über und sah Hotte fragend an.
    Er nickte mir zu und band das Seil mit dem Drillingsanker los, das er um die Taille geschlungen hatte. Das Metall war mit Schaumstoff ummantelt, und als Hotte den Anker auf den Balkon hochwarf, war nur ein leises Plopp zu hören. Hotte hielt einen Moment inne, lauschte, inspizierte erneut die Fenster der umliegenden Häuser. Dann zog er probeweise am Seil und gab mir das Zeichen, hinaufzuklettern. Ich zog mich erst nur mit den Händen hoch, das hatte ich schon im Turnunterricht gut gekonnt. Dann tastete ich mit den Füßen nach dem Knoten im Seil. Hangelte mich, Knoten für Knoten, hinauf bis zum Balkongeländer. Hievte mich darüber und trat zurück bis an die Balkontür. Fixierte mit einem ziemlich flauen Gefühl im Magen die umliegenden Fenster. Sie waren immer noch dunkel.
    Hotte stellte sich neben mich, holte eine Tube Klebstoff und einen Saugnapf aus seinem Rucksack, bestrich den Saugnapf an den Rändern mit dem Spezialkleber und ließ den in aller Seelenruhe einziehen. Dann drückte er den Saugnapf an die Scheibe. Gefühlte Stunden später schnitt er mit dem Glasschneider darum herum einen etwa bierdeckelgroßen Kreis in die Scheibe und zog den ausgeschnittenen Teil mit dem Saugnapf heraus. Ich war
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