Endstation Oxford
verbindet, nicht wahr?«
»Ich weiß wirklich nicht, warum ich Ihnen noch zuhöre. Meine Arbeit macht sich schließlich nicht von allein.«
»Nur noch eines: Besitzen Sie noch das Cottage, in dem Sie vor Ihrer Ehe mit Estelle wohnten?«
»Ja.«
»Haben Sie schon nachgesehen, ob auch dort eingebrochen wurde?«
Peter schwieg zwei Sekunden. »Auf Wiederhören, Kate«, sagte er dann und legte auf.
Es ist früher Samstagabend, wenige Wochen vor meinem vierten Geburtstag. Draußen wird es bereits dunkel. Die Straßenlaternen zeichnen trübe Lichtflecke in den dichter werdenden Novembernebel.
Meine Mutter steht in der Küche und beschäftigt sich mit den Dingen, die Mütter damals zu tun pflegten. Mein Vater sitzt linkisch und steif neben mir am Tisch. Er sieht es nicht als seine Aufgabe an, auf ein kleines Kind aufzupassen. Ich nörgele an meinem Essen herum und schiebe das Gemüse auf dem Teller hin und her. Insgeheim hoffe ich wohl, dass es verschwindet, ehe ich gezwungen bin, es zu essen. Ich frage mich, warum er mich nicht mit einem Spiel ablenkt. Alles läuft ganz anders ab als zu den Mahlzeiten, bei denen meine Mutter sich um mich kümmert.
Der Tisch ist recht lang. Mein Vater sitzt ein gutes Stück entfernt von mir. An einer Ecke liegt ein weißes Tuch mit einer Stickerei, die einen Teddy mit einem Lätzchen zeigt. Auf diesem Tuch liegt mein Kinderbesteck neben meinem blau-weiß gestreiften Teller. Auf dem Teller befinden sich in kleine Stücke geschnittene Möhren und Weißkohlstreifen. Das Gemüse ist weder gewürzt noch mit einer Soße verfeinert.
Auf der Anrichte wartet mein Nachtisch, eine Erdbeercreme mit Ananasstückchen. Selbst heute noch bekomme ich bei der Erinnerung an die lebhaften Farben Appetit. Aber ich darf erst von diesem Nachtisch kosten, wenn ich zuvor die Möhren und das andere Gemüse aufgegessen habe.
Unter dem unerbittlichen Blick meines Vaters stecke ich mir einen vollen Löffel in den Mund. Der Kohl wird in meinem Mund zu einer trockenen Pampe, die Möhren zerfließen zu Schleim. Jeglicher Geschmack verschwindet, nur Pampe und Schleim bleiben übrig. Ich versuche zu schlucken und muss würgen. Ich stochere in dem restlichen Gemüse auf meinem Teller.
Plötzlich liegen Möhren und Kohl auf dem Boden. In Streifen geschnittene, grüne Blätter vermischen sich mit dem grünen Muster des Teppichbodens, kleine Karottenwürfel verzieren die eingewebten, goldenen Chrysanthemen. Einen Moment lang gefällt mir der künstlerische Gesamteindruck. Und dann spucke ich ohne nachzudenken die geschmacklosen Reste in meinem Mund auf den Tisch.
Drohend beugt sich mein Vater über mich. Ich werde aus meinem Kinderstuhl gehoben und unsanft auf dem Boden abgesetzt. Er schlägt mich schmerzhaft auf meine nackten Beine. Patsch, patsch, einmal links, einmal rechts.
Ich bin empört. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Erst steht der Teller auf dem Tisch, dann liegt er plötzlich auf dem Boden. Aber das hatte nichts mit mir zu tun.
Das Gefühl der Empörung ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. In diesem Augenblick hasste ich meinen Vater so sehr, dass ich mir wünschte, er würde für immer verschwinden. Ich hätte ihm den Tod gewünscht, hätte ich damals schon gewusst, was dieses Wort bedeutet. Ich glaubte, dass ich ihn durch meine Willenskraft getötet hatte, was ich übrigens bis heute tue.
Und dann hörte ich diesen Schrei.
13
Das Taxi hielt vor der Haustür. Kate beobachtete, wie der Fahrer ausstieg, um den Wagen ging, den Kofferraum öffnete und einen großen Koffer herauswuchtete. Er war ein großer, breitschultriger Mann. Als er den Koffer auf den Bürgersteig stellte, verstellte er die Sicht auf seinen Fahrgast, der eben aus dem Fond stieg. Kate trat aus dem Haus, um Jons Freund zu begrüßen. Er bezahlte den Fahrer und wandte sich zu ihr um.
»Schön, Sie kennenzulernen«, sagte er mit einem Akzent, der weder schottisch noch nach dem Süden Englands klang. »Sie müssen Kate sein.«
»Die bin ich. Kommen Sie rein«, antwortete sie. Das Taxi schoss in einer Wolke bläulicher Auspuffgase davon.
Nach Jons Beschreibung habe ich allerdings etwas ganz anderes erwartet, dachte Kate, als sie seine kleine, weiße Hand schüttelte und in kurzsichtige blaue Augen blickte, die sich auf gleicher Höhe mit ihren eigenen befanden. Bisher ähnelte Craig deutlich mehr Clark Kent als Superman.
»Darf ich Ihnen helfen?«, fragte sie, als er sich mit seinem großen Koffer und einem kleinen
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