Endstation Oxford
Rucksack durch das Gartentor kämpfte. Er war zwar ein Mann, aber er wog sicherlich weniger als sie, und sie traute ihm auch kein Krafttraining mit Gewichten zu, wie sie es selbst oft machte.
»Nein danke, ich komme schon zurecht«, sagte er und folgte ihr ins Haus.
Kate führte ihn ins Gästezimmer, das nach Möbelpolitur roch.
»Ein wirklich hübsches Zimmer«, erklärte Craig.
»Ich setze schon mal Teewasser auf«, verkündete Kate auf ähnlich höfliche Weise. »Kommen Sie in die Küche, sobald Sie hier fertig sind. Haben Sie Hunger?«
»Ja, ein wenig.«
Kate füllte den Kessel mit Wasser und schnitt einen Früchtekuchen auf. Dabei dachte sie über den Mann nach, der oben im Gästezimmer vermutlich gerade auspackte.
Sie trug flache Schuhe und war nur wenige Zentimeter größer als eine durchschnittliche Frau, doch Craig überragte sie kaum. Seine blauen Augen bestaunten die Welt durch dicke Brillengläser, er war blass, hatte Sommersprossen, und sein undefinierbar hellbraunes Haar zog sich bereits um eine U-förmige Glatze herum zurück. Seine Kleidung wirkte so zusammengewürfelt, dass Kate argwöhnte, sie könne aus einer Kleiderkammer stammen.
Sie ahnte, dass Jon seinem Freund eine ziemlich übertriebene und vermutlich nicht sehr schmeichelhafte Beschreibung ihres Geisteszustandes gegeben haben musste. Sollte Craig etwa ein Auge auf sie geworfen haben? Hatte Jon ihn gewarnt, dass Kate ihre Entschlüsse gern von jetzt auf gleich umwarf und manchmal recht gewöhnungsbedürftige Theorien über Entführungen und Lösegeldforderungen verbreitete? Jedenfalls stellte sie erleichtert fest, dass Jons Freund sie sicher an keiner ihrer Ideen würde hindern können. Es schien, als säße er lieber gemütlich in einem Sessel und diskutierte die strukturellen Feinheiten seines Lieblingsromans, als etwas Anstrengenderes zu unternehmen. Nun würde sie ihn also mit Tee und Kuchen verwöhnen und dabei versuchen, seine Geheimnisse aus ihm herauszukitzeln.
Nur Minuten später betrat Craig die Küche. »Früchtekuchen!«, freute er sich mit einem Blick auf den Tisch. »Der sieht ja fantastisch aus«, fügte er hinzu und zog sich einen Stuhl heran.
Trotz seiner zierlichen Erscheinung aß er, als habe er seit vierzehn Tagen keine anständige Mahlzeit mehr bekommen. Dazu trank er drei Tassen Tee. Kate musste sogar nach dem Zucker suchen, den sie für Notfälle irgendwo hinten im Schrank verstaut hatte. Gebannt sah sie zu, wie er drei Teelöffel Zucker in jede Tasse rührte.
Nachdem sie gemeinsam die Spülmaschine eingeräumt hatten, führte Kate ihn ins Wohnzimmer und bot ihm den bequemsten Sessel an.
»Nach dem, was Jon erzählt hat, kennen Sie beide sich schon seit langer Zeit.«
»Ja, fast dreißig Jahre.«
»Aber in den letzten Jahren muss der Kontakt ein wenig lockerer geworden sein. Seit Jon und ich zusammen sind, hat er Sie meines Wissens noch nie erwähnt.«
»Sie kennen doch Jon: Er spielt gern mit verdeckten Karten.«
Kate fiel auf, dass auch Craig in diesem Spiel recht gut mithalten konnte. Sie versuchte einen anderen Weg.
»Er hat mir erzählt, dass Sie die meiste Zeit in der juristischen Fachbibliothek verbringen wollen.«
Craig warf Kate einen überraschten Blick zu. »Ach wirklich? Hat er das gesagt?«
Kate lächelte. »Er sagte, dass Sie an einer Abhandlung arbeiten und Material aus der juristischen Fachbibliothek brauchen. Hat er da vielleicht etwas missverstanden?«
»Zumindest ist es ein wenig übertrieben. Mir gefiel die Aussicht auf ein paar Tage in Oxford, und Jon …«
»Jon hat Sie gebeten, mich von meinem Vorhaben abzulenken.«
»Er erwähnte, dass Sie herauszufinden versuchen, was mit Ihrer Agentin geschehen ist. Und er bat mich, Ihnen dabei zu helfen.«
»Sind Sie Detektiv?«
»Ich bin ein zweites Paar Augen und Ohren und habe im Augenblick auch etwas Zeit zur Verfügung.«
»Geben Sie es ruhig zu: Er hat Sie gebeten, mich von meiner Suche nach Estelle abzubringen. Wahrscheinlich hat er es nicht ganz so drastisch ausgedrückt, aber er meinte sicher, dass ich übertreibe und einen Riesenwirbel um ein nicht existentes Problem mache. Vielleicht hat er Sie sogar gebeten, mir klarzumachen, dass mein geplantes Buch nicht das Wichtigste in meinem Leben sein sollte.«
»Er war allenfalls besorgt, dass Sie sich auf eine Sache einlassen könnten, die Sie später bereuen.«
»Er glaubt also, dass ich auf dem Holzweg bin?«
»Ihm ist bewusst, dass Sie offenbar über eine sehr lebhafte
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