Endstation Oxford
entschlossen, zumindest einem Menschen klarzumachen, was die Welt versäumt hatte. »In meinem Roman, von dem ich wusste, dass er ein Werk von großer Originalität war, ging es um die unglückliche Kindheit, quälende Jugendzeit und die allmähliche Reife eines sensiblen, sehr eigenwilligen jungen Mannes, eines jungen, verkannten Genies.«
»Hast du ihn je vollendet?«
»Aber ja.«
Genauso hatte Kate Craig eingeschätzt. Er war mit Sicherheit ausgesprochen beharrlich, auch wenn es ihm wahrscheinlich an Originalität und Genie fehlte. »Und weiter?«
»Ich habe die ersten hundert Seiten ausgedruckt und sie an fünf sorgfältig ausgewählte Agenten verschickt.«
»Rein aus Interesse: Nach welchen Kriterien hast du diese Agenten ausgewählt?«
»Ich habe mir die Liste ihrer Autoren angesehen und die ausgesucht, die mit von mir bewunderten und natürlich reichen und berühmten Schriftstellern zusammenarbeiten.«
»Klar. Und wie ging es weiter?« Sie ahnte es bereits.
»Drei Agenten antworteten innerhalb einer Woche. Sie schickten mir mein Manuskript zurück, zusammen mit einem vorgefertigten Ablehnungsschreiben. Der vierte und fünfte Agent schickten mein Opus im Lauf der folgenden drei Monate zurück, schrieben in etwa dasselbe und außerdem meinen Namen falsch.«
»Das ist hart. Und wie ging es weiter?«
»Ich bot meinen Roman weiteren fünf Agenten und dann noch einmal fünf anderen an. Das Ergebnis war immer gleich. Lediglich die Zeitspanne bis zur jeweiligen Rücksendung unterschied sich, ebenso wie die Schreibweise meines Namens. Der eine oder andere ließ mich überdies wissen, dass es derzeit so gut wie keinen Markt für neue Autoren gäbe.«
»Der übliche Satz, um jemanden abzuwimmeln.« Kate fragte sich, worauf Craig hinauswollte.
»Überraschend fand ich nur, wie sehr ich mich über die vielen Ablehnungen ärgerte«, fuhr Craig fort, als habe er Kates Gedanken gelesen. »Ich wurde richtiggehend wütend. Schließlich wusste ich genau, wie gut mein Buch war. Natürlich kapierte ich nicht, dass so gut wie jeder sensible, aber untalentierte junge Mann irgendwann einmal einen solchen Roman schreibt – und sei es auch nur, um seiner Familie heimzuzahlen, dass sie sein Genie immer verkannt hat.«
»Aha.«
»Ein paar Jahre später bei irgendeinem Umzug fiel mir mein Meisterwerk wieder in die Hände, und ich begann zu lesen.«
»Und?«
»Ich kam nicht über Seite fünf hinaus.«
»Das ist gar nicht so übel. Die Agenten kamen vermutlich nicht einmal über Seite zwei hinaus.«
»Wenn überhaupt. Jedenfalls packten sie das Ding so schnell wie möglich in den Rückumschlag, und ab damit in den Postausgang. Seit dieser Zeit verspüre ich manchmal so etwas wie Mitleid mit Agenten, die sich tagtäglich mit Hunderten solcher Ergüsse herumschlagen müssen.«
»Nun, zumindest hast du keine Schwierigkeiten mit Rechtschreibung und Interpunktion«, bemerkte Kate.
»Das Problem war nur, dass ich damals felsenfest überzeugt war, ein geradezu geniales Werk geschrieben zu haben und dass die Agenten mich aus reiner Bösartigkeit nicht an Ruhm und Reichtum teilhaben lassen wollten. Hätte ich einen von ihnen persönlich getroffen, hätte ich ihm sicher einen geharnischten Vortrag über sein mangelndes Urteilsvermögen gehalten. Und wäre er dann auch noch kleiner gewesen als ich, hätte ich ihm wahrscheinlich eins auf die Nase gegeben.«
»Mit anderen Worten: Du bist ernsthaft der Überzeugung, dass wir Ausschau nach einem aufgebrachten Möchtegern-Autor halten sollten?«
»Zumindest ist es eine Möglichkeit. Trägt Estelle unaufgefordert eingesandte Manuskripte in eine Liste ein? Weißt du, wie viele davon jeden Monat zusammenkommen?«
»Ja, sie notiert den Eingang jedes Manuskripts in einem besonderen Buch und vermerkt auch, wenn das Werk wieder zurückgeschickt wird.«
»Hervorragend.«
»Jede Woche kommen mehr als hundert Einsendungen.«
»Die aber sicher nicht alle abgelehnt werden, oder?«
»Estelle übernimmt höchstens ein bis zwei neue Autoren pro Jahr, die aber oft schon einmal woanders veröffentlicht wurden.«
Craig rechnete rasch nach. »Also über fünftausend abgelehnte Autoren im Jahr?«
»Vielleicht schicken einige von ihnen ihr Manuskript öfter als nur einmal.«
»Ich frage mich, ob sie eine Akte verstimmter Möchtegern-Autoren führt.«
»Durchaus möglich. Wie viele böse Briefe hast du an gefühllose Agenten geschrieben?«
»Keinen einzigen. Ich habe immer nur darüber
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