Endstation Sehnsucht - Endstation Glueck?
stand auf und begann, das Geschirr abzuräumen. Gleichzeitig versuchte sie angestrengt an etwas zu denken, was sie sagen konnte und was die angespannte Situation entschärfen könnte.
„Das brauchst du nicht tun!“, grummelte James.
„Ich glaube, es ist besser, wenn ich es jetzt mache. Morgen wird ein langer Tag, und je weniger ich dann in der Küche zu tun habe, desto besser. Übrigens vielen Dank für das Abendessen. Es war sehr gut.“
James murmelte etwas, das sie nicht verstehen konnte und begann, ihr zu helfen. Er trocknete ab, während sie abwusch. Die ganze Zeit über war Jennifer sich seiner Anwesenheit mehr als bewusst. Sie nahm ihn mit all ihren Sinnen wahr. Sie sah, spürte und roch ihn so deutlich, dass sie ihn nach schon wenigen Sekunden bis aufs allerkleinste Detail hätte beschreiben können. Und das machte ihr Angst. Aber sie war entschlossen, gegen das flaue Gefühl in ihrem Magen anzugehen.
Sie begann eine nichtssagende Konversation und erzählte ihm, wie sehr ihr Vater Paris liebte. „Du weißt ja, dass er nach dem Tod meiner Mutter nicht mehr verreisen wollte. Er hat mir einmal gesagt, dass sie und er davon geträumt hatten, zusammen die Welt zu sehen. Als sie dann starb, starb der Wunsch zu reisen mit ihr.“
„Das letzte Mal, als ich hier in der Gegend war, kam ich an eurem Haus vorbei“, sagte James. „Dein Vater war gerade auf dem Weg zu dir und wartete auf ein Taxi. Er las ein Buch über den Louvre und erzählte mir, dass er diesen unbedingt besuchen müsse. Dein Vater hat eine ganze Liste voller Sehenswürdigkeiten, die er abhaken will.“
„Wirklich?“ Jennifer lachte, und James wurde für einen Moment still. Ihm wurde klar, dass ihn die Erinnerung an ihr Lachen nie ganz verlassen hatte – ganz so, wie der Refrain eines eingängigen Liedes, das man niemals vergisst. Und plötzlich wollte er sehr viel mehr über sie wissen. Nicht nur, ob ihr der Job Spaß machte oder wie es in ihrem Apartment aussah. Er musste zu seiner Schande gestehen, dass er sie bisher immer als offenes Buch betrachtet hatte. Aber jetzt fühlte er große Neugier in sich aufsteigen, was ihn gleichzeitig verwirrte.
„Du hast John eine neue Welt eröffnet“, bemerkte er. Er trocknete den letzten Teller ab und lehnte sich, das Geschirrtuch über seine Schulter geschlungen, gegen den Küchenschrank. „Ich glaube, dass er sich bewusst geworden ist, was er in all den Jahren verpasst hat. Er war in seiner Routine gefangen gewesen, und dein Umzug hat ihn dazu gezwungen, sich zu ändern. Ich habe das Gefühl, dass ihn seine Ausflüge nach Paris bald langweilen werden.“
„Aber wir bleiben ja nicht immer nur in Paris“, protestierte Jennifer. „Wir waren auch schon in vielen anderen Städten.“ Sie hatte die letzten Minuten sehr genossen. Nicht nur, dass sie sich sehr darüber freute, was James ihr über ihren Vater erzählt hatte. Sie war auch froh darüber, dass sie und James für einen Augenblick zur Vertrautheit und Ungezwungenheit von früher zurückgefunden hatten.
Sie blickte kurz zu ihm hinüber, drehte sich dann aber schnell wieder zur Seite. Sie musste aufpassen, dass sie nicht wieder zu vertraut miteinander umgingen. Denn dann würde sie Gefahr laufen, ihre hart erkämpfte, emotionale Unabhängigkeit zu verlieren. Sich wieder in das kleine Mädchen zurückzuverwandeln, für das James das Maß aller Dinge gewesen war, war das letzte, was sie wollte.
„Für die nächsten Wochenenden habe ich auch schon Pläne gemacht. Wenn das Wetter besser wird, fliegen wir nach Prag. Ich glaube, dass es meinem Vater dort gefallen wird. Die Stadt ist wunderschön.“
„Bist du denn schon mal da gewesen?“
„Einmal.“
„Und all das von dem Mädchen, das während ihrer gesamten Kindheit nie verreiste. Abgesehen von der Klassenreise, als du 15 warst. Wart ihr da nicht Ski fahren?“
Das stimmte. Jennifer konnte sich noch sehr gut daran erinnern. James’ Vater war gerade gestorben. James hatte alle Hände voll damit zu tun gehabt, die Firma, die er geerbt hatte, zu leiten. Als er sie dann nach ihrer Ski-Reise zum ersten Mal seit längerer Zeit wiedersah, erzählte sie ihm haargenau alles, was sie erlebt hatte. Sie berichtete ihm von den Cliquen, die sich gebildet hatten, sowie von dem stillen Mädchen, das sich normalerweise im Hintergrund hielt, das aber plötzlich immer selbstbewusster wurde, weil sie eine der wenigen gewesen war, die Ski fahren konnten.
„Ja. Das waren wir.“
„ Und mit wem
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