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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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werden.
    Es wäre sinnvoll, die Fenster einer Plattform hier draußen aus einem unzerbrechlichen Material anstelle von Glas herstellen zu lassen. Aber als ich es einige Minuten zuvor mit den Fingern berührt hatte, hatte es sich wie Glas angefühlt.
    Es war Glas.
    Ich landete auf dem Wellblechdach und rollte einfach weiter bergab, während Glasscherben um mich herum durch die Luft flogen und unter mir knirschten. Ich hatte einen Teil des Fensterrahmens mitgerissen –
    Holzsplitter und Glasscherben steckten in meiner Weste und dem zerrissenen Pullover –, aber ich bremste nicht oder befreite mich daraus.
    Am Ende des Daches stand ich vor der Wahl: Der Instinkt verlangte, dass ich weiterrollte, außer Sicht gelangte, bevor die Schützen hinter mir das Feuer eröffneten, und hoffte, dass sich ein weiterer Laufsteg unter dem Dach befände; die Logik verlangte, dass ich bremste und mich vergewisserte, bevor ich über den Rand rollte; die Erinnerung wies darauf hin, dass es keine Laufstege in diesem nördlichen Abschnitt der Plattform gab.
    Ich schloss einen Kompromiss, indem ich mich über den Rand des Daches rollen ließ, mich aber am Überhang festhielt und mit rutschenden Fingern zwischen meinen baumelnden Stiefeln hindurchsah. Es gab kein Deck und keine Plattform da unten, nur zwanzig Meter Luft zwischen mir und den violetten Wellen. Die Monde gingen auf und beleuchteten das Meer.
    Ich zog mich so weit hoch, dass ich das Fenster sehen konnte, durch das ich gesprungen war, sah die Schützen dort und zog in dem Moment den Kopf ein, als einer feuerte. Die Flechettewolke stob dicht über mir hinweg und verfehlte meine verkrampften Finger um zwei oder drei Zentimeter, und ich zuckte zusammen, als ich das wütende Summen der Tausende Stahlnadeln hörte, die an mir vorbeischwirrten. Es gab kein Deck unter mir, aber ich konnte ein Rohr sehen, das horizontal an der Seite des Anbaus verlief. Es hatte einen Durchmesser von sechs bis acht Zentimetern.
    Zwischen der Innenseite des Rohrs und der Wand des Anbaus klaffte ein winziger Spalt, möglicherweise breit genug, dass meine Finger Halt fanden
    – wenn das Rohr nicht unter meinem Gewicht brach, wenn mir der Ruck nicht die Schultern ausrenkte, wenn meine gefesselten Hände nicht abrutschten... ich dachte nicht nach: Ich ließ mich fallen. Meine Unterarme und der Stahl der Handschellen prallten gegen das Rohr, sodass ich um ein Haar nach hinten gekippt wäre, aber meine Finger waren bereit zuzupacken, und das taten sie auch, rutschten an der Innenseite des Rohrs ab, konnten mein Gewicht aber halten.
    Die zweite Salve Flechettefeuer über mir zerfetzte den Überhang des Dachs und durchlöcherte die Außenwand an hundert Stellen. Splitter und Stahlteile schossen im Mondschein vorbei, während die Männer da oben durcheinander brüllten und fluchten. Ich hörte Schritte auf dem Dach.
    Ich tastete mit den Füßen und schwang mich so schnell wie möglich nach links. Da unten, unter der Ecke des Anbaus, stand ein Deck vor. Ich kam entsetzlich langsam voran. Meine Schultern schmerzten, meine Finger wurden auf Grund der mangelnden Durchblutung taub. Ich konnte Glasscherben in meinem Haar und der Kopfhaut spüren, Blut lief mir in die Augen. Die Männer über mir würden den Dachrand erreichen, bevor ich es zu einem Punkt über der Plattform schaffen konnte.
    Plötzlich ertönten Flüche und Schreie, und ein Teil des Dachs, wo ich gehangen hatte, stürzte ein. Offenbar hatte das Flechettefeuer diesen Teil des Dachs instabil gemacht, und nun brach er unter ihrem Gewicht zusammen. Ich konnte hören, wie sie fluchend zurückwichen und sich andere Wege zum Rand suchten.
    Diese Verzögerung verschaffte mir zusätzliche acht bis zehn Sekunden, doch das reichte aus, mich mit den Händen zum Ende des Rohrs vortasten, einmal mit dem ganzen Körper schwingen und krachend auf der Plattform darunter landen zu können, wo ich so fest gegen die östliche Reling stieß, dass mir die Puste wegblieb.
    Ich wusste, ich konnte nicht da liegen bleiben, bis ich wieder zu Atem kam. Ich bewegte mich rasch, rollte in den dunkleren Teil des Decks unter dem Anbau. Mindestens zwei Flechettegewehre wurden abgefeuert – eine Salve ging daneben und wirbelte fünfzehn Meter tiefer das Wasser auf, die zweite traf das Ende des Decks, als wären hundert Nagelpistolen auf einmal abgefeuert worden. Ich rollte auf die Füße und rannte los, wobei ich mich unter tiefen Trägern hindurch duckte und versuchte, durch das

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