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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Labyrinth der Schatten da unten zu sehen. Irgendwo über mir hallten Schritte. Sie hatten den Vorteil, dass sie den Plan der Decks und Treppen kannten; aber nur ich wusste, wohin ich wollte.
    Ich wollte zum östlichsten und tiefsten Deck, wo ich die Matte zurückgelassen hatte, aber dieses Wartungsdeck führte zu einem langen Laufsteg, der nach Norden und Süden verlief. Als ich weit genug unter der Hauptplattform dahingerannt war und glaubte, dass ich mich auf Höhe des östlichen Decks befand, schwang ich mich auf eine Stützstrebe – etwa sechs Zentimeter Durchmesser –, ruderte mit den gefesselten Armen nach rechts und links, damit ich das Gleichgewicht nicht verlor, und überquerte einen offenen Abschnitt zum nächsten vertikalen Pfeiler. Das wiederholte ich und wich nach Norden oder Süden aus, wenn die Streben aufhörten, fand aber immer wieder einen, der nach Osten führte.
    Falltüren wurden aufgerissen, Schritte hallten auf den Laufstegen unter dem Hauptdeck, aber ich hatte das Ostdeck zuerst erreicht. Ich sprang darauf, fand die Matte, wo ich sie an den Pfosten gebunden hatte, rollte sie auf, strich über die Flugmuster und flog in dem Augenblick über die Reling, als eine Falltür über der langen Treppenflucht zum Deck hinunter aufgerissen wurde. Ich lag bäuchlings auf dem Teppich und versuchte, so wenig Silhouette wie möglich vor den Monden und den leuchtenden Wellen abzugeben, während ich die Flugfäden ungeschickt mit meinen gefesselten Händen bediente.
    Mein Instinkt riet mir, schnurstracks nach Norden zu fliegen, aber mir wurde klar, dass das ein Fehler wäre. Die Flechettegewehre würden nur bis zu einer Entfernung von sechzig bis siebzig Metern exakt schießen, aber irgendjemand da oben musste ein Plasmagewehr oder eine gleichwertige Waffe haben. Aller Aufmerksamkeit war inzwischen auf das Ostende der Plattform gerichtet. Beste Chancen hätte ich, wenn ich nach Westen oder Süden steuerte. Ich schwenkte nach links, sauste unter den dortigen Stützen durch und glitt unter dem schützenden Dach der Plattform nach Westen.
    Nur ein Deck ragte so weit heraus – das, worauf ich gesprungen war –, und ich konnte sehen, dass sich niemand auf dem nördlichen Ende aufhielt. Es war nicht nur menschenleer, stellte ich fest, sondern obendrein durch die Flechettegeschosse zerfetzt und vermutlich zu unsicher, um darauf zu stehen. Ich flog darunter und weiter in westlicher Richtung. Stiefel hallten auf den oberen Laufstegen, aber selbst wenn mich jemand sehen konnte, würde es ihm wegen der Vielzahl von Pfeilern und Querverstrebungen verdammt schwer fallen, mich ins Visier zu nehmen.
    Ich kam unter der Plattform hervor und flog in ihrem Schatten weiter – die Monde standen inzwischen höher –, hielt mich nur Millimeter über den Wellenkämmen, blieb flach liegen und versuchte, die Dünung des Ozeans zwischen mir und dem westlichen Ende der Plattform zu halten. Ich war vierzig oder fünfzig Meter draußen und fast bereit, einen Stoßseufzer der Erleichterung auszustoßen, als ich ein Plätschern und Husten wenige Meter rechts von mir hörte, unmittelbar hinter der nächsten Welle.
    Ich wusste sofort, was das war, wer das war – der Lieutenant, den ich über die Reling gestoßen hatte. Mein erster Impuls war, einfach weiterzufliegen. Zu diesem Zeitpunkt herrschte chaotisches Durcheinander auf der Plattform – Männer brüllten, andere schossen von der Nordseite aus, am Westende, wo ich entkommen war, schrien ebenfalls Männer –, aber scheinbar hatte mich niemand hier draußen gesehen. Dieser Mann hatte mir mit seiner Flechettepistole auf den Kopf geschlagen und hätte mich mit Vergnügen getötet, wenn seine Kumpels nicht im Weg gestanden hätten. Die Tatsache, dass die Strömung ihn hierher getragen hatte, weg von der Plattform, war sein Pech; ich konnte nichts dagegen tun.
    Ich kann ihn an der Basis der Plattform absetzen – möglicherweise an einem der Stützpfeiler. Ich bin einmal entkommen; ich kann es wieder schaffen. Der Mann hat seine Pflicht getan. Er hat es nicht verdient, dafür zu sterben.
    Ehrlicherweise muss gesagt werden, dass ich mein Gewissen in solchen Momenten hasste – nicht, dass ich schon viele solcher Momente erlebt hätte.
    Ich bremste die Matte dicht über den Wellen. Ich lag immer noch auf dem Bauch, Kopf und Schultern geduckt, damit die brüllenden Männer auf der Plattform mich nicht sehen konnten. Jetzt lehnte ich mich rechts hinaus, um festzustellen, ob ich den

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