Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
entgegen.
Tornados beherrschten den Himmel um mich herum. Ich hielt das nun nutzlose Tau umklammert, wo es dem zertrümmerten Rumpf entsprang, und war fest entschlossen, mich so lange festzuhalten, bis Boot, zerfetztes Segel und ich selbst vorn Druck zerquetscht oder vom Wind in Stücke gerissen wurden. Ich stellte fest, dass ich wieder schrie, aber für meine Ohren hörte sich das Geräusch anders an – fast wonnevoll.
Ich war weniger als einen Kilometer gefallen, und das Kajak und ich erreichten ein Tempo, das weit jenseits der Endgeschwindigkeit auf Hyperion oder der Alten Erde lag, als der Tintenfisch über und hinter mir –
den ich fast vergessen hatte – seinen Sprung machte. Er musste sich mit atemberaubender Schnelligkeit bewegt haben und durch die Luft geflogen sein wie ein Krake, der hinter seiner Beute herschießt. Dass er Hunger hatte und fest entschlossen war, sein Abendessen nicht zu verlieren, merkte ich zum ersten Mal, als seine langen Fressranken um mich herumwallten wie riesige Tentakel, die zuckten und suchten und sich wanden.
Hätte mich das Ding bei der Geschwindigkeit, mit der das Boot fiel, ruckartig zum Stillstand gebracht, wären das Kajak und ich in winzige Stücke zerrissen worden. Aber der Tintenfisch fiel mit uns, umfing Boot, Segel und Taue und mich mit seinen kleinsten Ranken – jede trotz allem gut und gern zwei bis fünf Meter im Durchmesser –, und dann bremste er den Fall und stieß Ammoniakgase aus wie ein Landungsboot in der letzten Phase des Zielanflugs. Dann stieg er wieder an, dem Sturm entgegen, wo die Tornados noch tobten und die zentrale Stratokumulusfront in ihrer schwarzen Pracht brodelte. Ich war nur halb bei Bewusstsein, als mir klar wurde, dass der Tintenfisch in diese wallende Wolke hineinflog, während er das zertrümmerte Kajak und mich unaufhaltsam auf eine Öffnung in seinem riesigen transparenten Körper zubeförderte.
Nun, dachte ich benommen, ich habe sein Maul gefunden.
Taue und Fetzen des Parasegels lagen um mich herum und auf mir wie ein zu groß geratenes Leichentuch. Das Kajak schien in einfallsloses Geschenkpapier gewickelt zu sein, als der Tintenfisch uns in sich hineinsog.
Ich versuchte mich umzudrehen und überlegte mir, ob ich versuchen sollte, zum Cockpit zurückzukriechen, die Flechettepistole zu holen und mir einen Weg aus dem Ding herauszuschneiden.
Natürlich war die Flechettepistole bei dem trudelnden Absturz aus dem Cockpit geschleudert worden. Die Cockpitkissen und mein Rucksack mit Kleidung, Lebensmitteln, Wasser und der Lasertaschenlampe waren ebenfalls verschwunden. Alles war fort.
Ich versuchte zu kichern, aber das Geräusch war nicht völlig erfolgreich, da die Ranken das Kajak samt seinem festgeklammerten Passagier die letzten fünfzig Meter zu der klaffenden Körperöffnung an der Unterseite des Tintenfischkörpers sogen. Jetzt konnte ich die inneren Organe deutlicher sehen – pulsierend und absorbierend, in peristaltischer Wellenbewegung, und in einigen tummelten sich die grünen Scheibenwesen.
Als ich tiefer hineingesogen wurde, schlug mir ein fast überwältigender Gestank von Putzmittel entgegen – Ammoniak, wurde mir klar –, bei dem meine Augen tränten und mein Hals brannte.
Ich dachte an Aenea. Es war kein langer oder eloquenter Gedanke – nur eine kurze Impression, wie sie an ihrem sechzehnten Geburtstag ausgesehen hatte, kurzes Haar, verschwitzt, Sonnenbrand nach ihrer Meditation in der Wüste –, und ich formte eine einzige Botschaft: Tut mir Leid, Spatz. Ich habe mein Bestes versucht, das Schiff zu erreichen und es zu dir zu bringen. Tut mir Leid.
Dann krümmten sich die langen Fressranken und schlossen sich und zogen das Boot und mich in einen lippenlosen Mund, der, wie mir klar wurde, einen Durchmesser von dreißig oder vierzig Metern haben musste.
Ich dachte an das Fiberglas und das Parasegel aus Ultranylon und die Taue aus Kohlenstoffasern, die mit mir verschluckt wurden, und hatte gerade noch Zeit für einen Gedanken – Ich hoffe, du bekommst Bauchschmerzen davon.
Und dann wurde ich in den Gestank von Ammoniak und Fisch hineingezogen, bekam am Rande mit, dass die Luft in den Eingeweiden des Tiers nicht wirklich zum Atmen geeignet war, fasste den Entschluss, aus dem Kajak zu springen, statt mich verdauen zu lassen, verlor aber das Bewusstsein, bevor ich handeln oder einen weiteren zusammenhängenden Gedanken fassen konnte.
Ohne dass ich es wusste oder mitbekam, stieg der Tintenfisch weiter durch
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