Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
aussieht.
»Schubtornister laufen heiß«, meldet eine andere gelassene Stimme. De Soya checkt den Ausdruck. Es ist Corporal Kee. »Der Sand verstopft die Ansaugdüsen«, fährt der Corporal fort.
De Soya sieht durch sein Visier zu Kommandantin Barnes-Avne. Er weiß, sie muss eine schwierige Entscheidung treffen – noch eine Minute in der Staubwolke, und einer oder mehrere ihrer Soldaten könnten in den sicheren Tod stürzen; gelingt es ihr nicht, den Eindringling zu identifizieren, wird sie später Schwierigkeiten bekommen.
»Sergeant Gregorius«, sagt sie, ihre Stimme ist immer noch völlig gelassen, »schalten Sie den Eindringling jetzt aus.«
Es folgt eine kurze Pause in der Komverbindung. »Kommandantin, wir können noch ein wenig länger hier...«, beginnt der Sergeant. De Soya kann das Heulen des Sandsturms über die Stimme des Mannes hinweg hören.
»Schalten Sie ihn jetzt aus, Sergeant«, sagt Barnes-Avne.
»Verstanden.«
De Soya schaltet auf das taktische Langstreckendisplay um, schaut auf und stellt fest, dass die Kommandantin ihn beobachtet. »Glauben Sie, das könnte eine Finte sein?«, fragt sie. »Eine Ablenkung, um uns zu beschäftigen, damit der wahre Gegner anderswo eindringen kann?«
»Wäre möglich«, sagt de Soya. Er sieht auf dem Display, dass die Kommandantin die Alarmstufe entlang der Grenze auf fünf angehoben hat.
Alarmstufe sechs bedeutet Gefechtsbereitschaft.
»Mal sehen«, sagt sie in dem Moment, als Gregorius’ Leute feuern.
Der Sandsturm ist ein tosender Hexenkessel aus Sand und Elektrizität.
Auf einhundertfünfundsiebzig Kilometer sind ihre Energiewaffen unzuverlässig. Gregorius entscheidet sich für einen Stahlregenpfeil und feuert ihn persönlich ab. Der Pfeil beschleunigt auf Mach 6. Der Eindringling weicht nicht von seinem Kurs ab.
»Keine Sensoren, glaube ich«, sagt Barnes-Avne. »Er fliegt blind.
Programmiert.«
Der Pfeil überfliegt das Hitzeziel und detoniert in einer Entfernung von dreißig Metern, die zielgerichtete Ladung schleudert die zwanzigtausend Flechettes direkt auf den Kurs des Eindringlings hinunter.
»Kontakt«, sagt der C3-Controller in dem Augenblick, als Sergeant Gregorius meldet: »Wir haben ihn.«
»Finden und identifizieren«, sagt die Kommandantin. Ihr Gleiter ist schon wieder in Richtung des Tals der Zeitgräber geschwenkt.
De Soya sieht durch das Visierdisplay. Sie hat auf die Entfernung zugeschlagen, zieht die Soldaten aber nicht aus dem Sandsturm zurück.
»Verstanden«, sagt der Sergeant, und der Sturm ist so heftig, dass statisches Rauschen den Richtstrahl stört.
Der Gleiter kreist tief über dem Tal, und de Soya identifiziert die Gräber zum tausendsten Mal: Hier, in umgekehrter Reihenfolge, wie es Pilger normalerweise erleben – obwohl es seit mehr als drei Jahrhunderten keine Pilger mehr gegeben hat –, kommt zuerst der Palast des Shrike, weiter südlich als die anderen, dessen zerklüftete und spitze Zinnen an die Kreatur erinnern, die seit den Tagen der Pilger nicht mehr hier gesehen worden ist; dann die unauffälligeren Höhlengräber – insgesamt drei –, deren Eingänge aus dem rosa Stein der Gebirgswand geschnitten wurden; dann der riesige, zentral plazierte Kristallmonolith; dann der Obelisk; dann das Jadegrab und schließlich die reichhaltig verzierte Sphinx mit der versiegelten Tür und den ausgebreiteten Schwingen.
De Soya schaut auf die Uhr.
»Eine Stunde und sechsundfünfzig Minuten«, sagt Kommandantin Barnes-Avne.
Pater Captain de Soya beißt sich auf die Lippe. Der Kordon der Schweizergarde ist um die Sphinx herum in Stellung – wie schon seit Monaten. Weiter draußen bilden weitere Truppen einen zweiten Ring. Vor jedem Grab wartet ein Kontingent Soldaten, falls die Prophezeiung nicht korrekt gewesen sein sollte. Außerhalb des Tals sind weitere Truppen stationiert. Über ihnen halten die Kriegs- und Flaggschiffe Wache. Am Eingang des Tals steht de Soyas privates Landungsboot mit laufenden Schubdüsen, damit der Start sofort erfolgen kann, sobald das betäubte Kind sich an Bord befindet. Zweitausend Klicks höher wartet das Erzengel-Kurierschiff Raphael mit seiner kindgerechten Beschleunigungscouch.
Aber zuerst, weiß de Soya, muss das Mädchen, dessen Name Aenea lauten könnte, das Sakrament der Kruziform empfangen. Das wird in der Kapelle des Kriegsschiffs St. Bonaventure im Orbit geschehen, und zwar wenige Augenblicke bevor das schlafende Kind an Bord des Kurierschiffs gebracht wird. Drei Tage
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