Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
graue Decke aus.
»Nein, danke«, sagte ich und ließ die Kom-Fasern am Hals meines Hautanzugs die Subvokale aufnehmen. »Ich schätze, ich habe genug Kunststückchen vorgeführt.« Ich sah wieder zu ihr auf. »Warum bist du hier? Wo ist A. Bettik?«
»Wir haben uns über den Wolken getroffen, dich nicht gesehen, und ich bin heruntergekommen, um dich zu suchen«, sagte Aenea einfach; ihre Stimme hörte sich durch die Kom-Fasern gedämpft an.
Ich verspürte einen Anflug von Übelkeit – was mehr an dem Gedanken lag, was sie alles riskiert hatte, als an der heftigen Akrobatik vor wenigen Augenblicken. »Mir geht es gut«, sagte ich mürrisch. »Ich musste nur ein Gefühl für die Aufwinde an der Felswand bekommen.«
»Ja«, sagte Aenea. »Die sind trügerisch. Warum folgst du mir nicht hinauf?«
Das tat ich auch und ließ nicht zu, dass mein Stolz mein Überleben gefährdete. In dem wallenden Nebel war es schwer, ihr gelbes Segel in Sichtweite zu behalten, aber einfacher, als so nahe an der Felswand blind zu fliegen. Sie schien genau zu spüren, wo die Felswand war, beendete unser Kreisen fünf Meter davon entfernt – sodass sie ins Zentrum der kräftigen Aufwinde steuerte –, kam ihr aber nie zu nahe oder entfernte sich zu weit davon.
Binnen weniger Minuten hatten wir die Wolken hinter uns gelassen. Ich muss gestehen, dass das Erlebnis atemberaubend war – zuerst wurde es langsam heller, dann strömte das Sonnenlicht ein, dann stieg ich über die Wolkendecke empor wie ein Schwimmer, der aus einem weißen Meer auftaucht, dann blinzelte ich im grellen Licht eines blauen Himmels und scheinbar endloser Aussicht nach allen Seiten.
Nur die höchsten Gipfel und Grate waren über dem Wolkenmeer zu sehen: T’ai Shan funkelte kalt und vereist weit entfernt von uns im Osten, Heng Shan etwa gleich weit entfernt im Norden, unser Grat von Jokung ragte, nach Westen verlaufend, wie eine Rasierklinge aus den Wolkenmassen heraus, das K’un-Lun-Massiv war eine ferne Wand von Nordost nach Südwest, und weit, weit entfernt, am Rand der Welt, die gleißenden Gipfel von Chomo Lori, Mt. Parnassus, Kangchengjunga, Mt. Koya, Mt. Kaiais und anderen, die ich aus diesem Blickwinkel nicht identifizieren konnte. Sonnenlicht leuchtete auf etwas Hohem jenseits des fernen Phari-Massivs, und ich dachte mir, dass das der Potala oder der kleine Schiwling sein könnte. Ich hörte auf zu gaffen und konzentrierte mich wieder auf meinen Versuch, Höhe zu gewinnen.
A. Bettik ließ sich in meine Nähe treiben und zeigte mir den erhobenen Daumen. Ich erwiderte das Signal und sah Lhomo fünfzig Meter über uns gestikulieren: Näher zusammen. Haltet eure Kreise eng. Folgt mir.
Wir gehorchten, wobei Aenea mühelos ihre Flügelposition hinter Lhomo einnahm, A. Bettiks blauer Drachen über ihrer Flugbahn kreiste und ich fünfzehn Meter unter und fünfzig Meter hinter dem kreisenden Androiden die Nachhut bildete.
Lhomo schien genau zu wissen, wo die Aufwinde waren – manchmal kreisten wir weiter nach Westen, stießen in die Thermik vor und zogen weitere Kreise, um wieder ostwärts zu schweben. Manchmal schienen wir zu kreisen, ohne an Höhe zu gewinnen, aber dann sah ich nach Norden, zum Heng Shan, und spürte, dass wir wieder mehrere hundert Meter höher gestiegen waren. Langsam stiegen wir höher, und langsam kreisten wir ostwärts, aber der T’ai Shan musste immer noch achtzig oder neunzig Klicks entfernt sein.
Es wurde kälter, das Atmen fiel schwerer. Ich versiegelte das letzte Stück der Osmosemaske und inhalierte reines O2, während wir höher stiegen. Der Hautanzug zog sich um mich herum zusammen und fungierte als Druckanzug und Thermokleidung in einem. Ich konnte sehen, wie Lhomo in seiner Zygeißen- Chuba und den dicken Handschuhen zitterte. A. Bettik hatte Eis auf dem nackten Unterarm. Und immer noch kreisten und stiegen wir. Der Himmel wurde dunkler, die Aussicht noch unglaublicher – im Südwesten der ferne Nanda Devi, Helgafell noch weiter entfernt im Südosten, Harney Peak weit jenseits des Schiwling, aber alle waren jenseits der Krümmung des Planeten zu erkennen.
Schließlich hatte Lhomo genug. Einen Augenblick zuvor hatte ich die transparente Osmosemaske meiner Kapuze geöffnet, um festzustellen, wie dick die Luft war, versuchte offenbar, völliges Vakuum einzuatmen, und versiegelte die Membran hastig wieder. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es Lhomo in dieser Höhe gelang, zu atmen, zu denken und zu handeln. Nun gab er uns
Weitere Kostenlose Bücher