Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
Shan waren verwirrt.
Als Captain Wolmak an Bord der Jibril das seltsam pulsierende Alarmsignal von der Pax-Enklave auf dem Schiwling empfing, versuchte er, Kardinal Mustafa und die anderen anzufunken, bekam aber keine Antwort. Innerhalb weniger Minuten hatte er ein gefechtsbereites Landungsboot mit zwei Dutzend Marines des Pax und drei Sanitätern an Bord losgeschickt.
Die Bilder, die über das Richtstrahlrelais hereinkamen, waren verwirrend.
Das Konferenzzimmer ihrer Enklave im Gompa war eine blutige Schweinerei. Blut und Eingeweide waren überall verspritzt, aber der einzige erhaltene Körper war der des Großinquisitors, der geblendet und verkrüppelt worden war. Sie führten eine DNA-Analyse der größten Blutlache durch und stellten fest, dass es Pater Farrells Blut war. Andere Blutlachen stammten mutmaßlich von Erzbischof Breque und LeBlanc, seinem Attaché. Aber keine Leichen. Keine Kruziformen. Die Sanitäter meldeten, dass Kardinal Mustafa komatös, in tiefem Schock und dem Tode nahe war; sie stabilisierten seinen Zustand, so gut sie es nur mit ihren MedSets konnten, und baten um weitere Befehle. Sollten sie den Großinquisitor sterben und auferstehen lassen oder ihn zum Autochirurgen des Landungsboots bringen und versuchen, ihn zu retten, obwohl sie wussten, dass es mehrere Tage dauern konnte, bis er wieder zu Bewusstsein kam und den Angriff beschreiben konnte? Natürlich könnte man den Kardinal auch an das Lebenserhaltungssystem anschließen, ihn mit Medikamenten aus dem Koma holen und innerhalb von Minuten verhören
– während der Patient die ganze Zeit mit dem Tode rang und unvorstellbare Schmerzen litt.
Wolmak gab ihnen den Befehl zu warten und nahm über Richtstrahl Verbindung mit Admiral Lempriere auf, dem Kommandanten der Task Force. Im System von T’ien Shan, viele AE entfernt, waren die Besatzungen der rund vierzig Schiffe, die die Schlacht mit der Raphael überstanden hatten, damit beschäftigt, Überlebende aus den irreparabel beschädigten Erzengeln zu retten und auf die Ankunft der päpstlichen Drohne und des Robotschiffs vom TechnoCore zu warten, das die Bevölkerung des Planeten in den Scheintod versetzen würde. Keins von beiden war bislang eingetroffen. Lempriere war näher, vier Lichtminuten entfernt, und so lange würde der Richtstrahl brauchen, bis er ihn erreichte und in Kenntnis setzen konnte, aber Wolmak glaubte, dass er keine andere Wahl hatte. Er wartete, während seine Nachricht durch das System eilte.
An Bord des Flaggschiffs Raguel befand sich Lempriere in einer kitzligen Situation und hatte nur Minuten, um über Mustafas Schicksal zu entscheiden. Ließ er den Großinquisitor sterben, würde die zweitägige Auferstehung wahrscheinlich erfolgreich sein. Der Kardinal würde kaum Schmerzen erleiden. Aber die Ursache des Angriffs – Shrike, Eingeborene, die Jünger des Ungeheuers Aenea, Ousters – würde bis dahin ein Geheimnis bleiben. Lempriere ließ sich nur zehn Sekunden Zeit für seine Entscheidung, aber der Richtstrahl mit der Botschaft zurück brauchte wiederum vier Minuten.
»Lassen Sie ihn von den Ärzten stabilisieren«, meldete er Wolmak auf der Jibril im Orbit um den Bergplaneten. »Schließen Sie ihn an das Lebenserhaltungssystem im Landungsboot an. Holen Sie ihn raus. Befragen Sie ihn. Wenn wir genug wissen, lassen Sie den Autochirurgen eine Diagnose erstellen. Wenn eine Auferstehung schneller geht, lassen Sie ihn sterben.«
»Aye, aye, Sir«, bestätigte Wolmak vier Minuten später und gab den Befehl an die Marines weiter.
Derweil weiteten die Marines ihre Suche aus und nutzten EMV-Schubtornister, um die vertikalen Felswände des Phallus Schiwas zu untersuchen.
Sie untersuchten Rhan Tso, den so genannten Otternsee, mit Tiefenradar, fanden aber weder Ottern noch die Leichen der vermissten Priester. Eine aus zwölf Marines bestehende Ehrengarde war bei der Gruppe des Großinquisitors in der Enklave gewesen – und der Pilot des Landungsbootes –, aber diese Männer und Frauen wurden ebenfalls vermisst. Blut und Gewebereste wurden gefunden und einer DNA-Analyse unterzogen – womit der größte Teil der Vermissten identifiziert werden konnte –, aber die Leichen fand man nicht.
»Sollen wir die Suche auf den Winterpalast ausdehnen?«, fragte der Lieutenant der Marines, der den Suchtrupp befehligte. Alle Marines hatten den ausdrücklichen Befehl erhalten, die Einheimischen nicht zu stören –
ganz besonders nicht den Dalai Lama und seine Leute –,
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