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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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T’ai Shan erklommen hatten, den Hohen Gipfel des Mittleren Königreichs – auch wenn es mir vorkam, als wäre das Jahre her –, aber einen Hautanzug wie diesen hatte ich noch nie gesehen oder gespürt.
    Hautanzüge gibt es seit einigen Jahrhunderten, und ihr Prinzip besteht darin, dass der beste Weg, im Vakuum nicht zu explodieren, kein klobiger Druckanzug ist wie in den Anfangstagen der Raumfahrt, sondern eine so dünne Bekleidung, dass sie schweißdurchlässig ist, gleichzeitig aber die Haut vor der schrecklichen Hitze, Kälte und dem Vakuum des Alls schützt.
    In all den Jahrhunderten hatten sich Hautanzüge nicht sehr verändert, davon abgesehen, dass Atemkreislauffäden und Osmoseflächen eingebaut wurden. Natürlich war mein letzter Hautanzug ein Relikt der Hegemonie gewesen, aber noch durchaus funktionstüchtig, bis Rhadamanth Nemes ihn in Stücke gerissen hatte.
    Aber dies war kein gewöhnlicher Hautanzug. Das Ding war silbern, geschmeidig wie Quecksilber und fühlte sich wie ein warmer Protoplasmaklumpen an, als Palou Koror es mir in die Hand drückte. Es zerfloss wie Quecksilber. Nein, es wallte und zerfloss wie ein lebendes, biegsames Ding. In meinem Schrecken hätte ich den Anzug beinahe fallen lassen, fing ihn mit der anderen Hand auf und sah, wie er mehrere Zentimeter an meinem Handgelenk hinaufkroch wie ein Fleisch fressender Außerirdischer.
    Ich musste etwas laut ausgesprochen haben, denn Aenea sagte: »Er ist am Leben, Raul. Der Hautanzug ist ein Organismus, genetisch maßgeschneidert und mit Nanotechnologie aufgepeppt, aber nur drei Moleküle dick.«
    »Wie ziehe ich ihn an?«, fragte ich und beobachtete, wie er an meinem Arm hinaufkroch bis zum Saum meines Hemds und wieder zurück. Ich hatte den Eindruck, als wäre das Ding mehr Raubtier als Kleidungsstück.
    Und das Problem mit Hautanzügen war, dass sie auf der Haut getragen werden mussten: Man konnte keine Schicht darunter tragen.
    »Hm-hmm«, sagte Aenea. »Ganz einfach... kein Ziehen und Zerren mehr wie bei den alten Hautanzügen. Zieh dich einfach nackt aus, bleib völlig reglos stehen und streif dir das Ding über den Kopf. Es wird an dir hinunterfließen. Aber wir müssen uns beeilen.«
    Das löste alles andere als große Begeisterung bei mir aus.
    Aenea und ich entschuldigten uns und liefen die Wendeltreppe zum Schlafzimmer in der Spitze des Schiffs hinauf. Dort entledigten wir uns hastig unserer Kleidung. Ich sah meine Liebste an – die nackt vor dem uralten (und, soweit ich mich erinnerte, recht bequemen) Bett des Konsuls stand – und wollte gerade einen besseren Zeitvertreib vorschlagen, bis das Schiff andockte. Aber Aenea wackelte nur verneinend mit dem Zeigefinger, hielt den silbernen Protoplasmaklumpen über sich und ließ ihn in ihr Haar fallen.
    Es war erschreckend, zu sehen, wie der silberne Organismus sie einhüllte
    – über ihr brünettes Haar floss wie flüssiges Metall, ihre Augen, Mund und Kinn überzog, wie spiegelnde Lava an ihrem Hals hinabfloss und dann ihre Schultern, Brüste, den Bauch, Hüftknochen, Scham, Schenkel, Knie einhüllte... bis sie schließlich erst einen, dann den anderen Fuß hob und vollkommen eingeschlossen war.
    »Alles in Ordnung?«, sagte ich mit piepsiger Stimme, während mein eigener silberner Klumpen noch in meiner Hand pulsierte und darauf brannte, mich zu verschlingen.
    Aenea – oder die Chromstatue, die Aenea gewesen war – zeigte mir den nach oben gerichteten Daumen und deutete auf ihren Hals. Ich verstand: Wie bei den Hautanzügen der Hegemonie konnte eine Kommunikation von nun an nur noch durch Subvokalisierungsmikros stattfinden.
    Ich nahm die pulsierende Masse in beide Hände, hielt den Atem an, machte die Augen zu und warf sie auf meinen Kopf.
    Es dauerte keine fünf Sekunden. Einen schrecklichen Augenblick war ich überzeugt, dass ich nicht atmen konnte, als ich die glatte Masse über Nase und Mund spürte, aber dann dachte ich daran, dass ich inhalieren musste, und atmete kühlen und frischen Sauerstoff ein.
    Kannst du mich hören, Raul? Ihre Stimme klang viel deutlicher als über die Hörflicken der alten Anzüge.
    Ich nickte, dann hauchte ich: Ja. Komisches Gefühl.
    Sind Sie bereit, M. Aenea, M. Endymion? Ich brauchte eine Sekunde, bis mir klar wurde, dass das der andere angepasste Ouster, Drivenj Nicaagat, über die Anzugverbindung war. Ich hatte seine Stimme schon einmal gehört, aber in der Übersetzung des Sprachsynthesizers. Über die direkte Leitung klang seine Stimme

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