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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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hoch entwickelt, dass wir hätten hören können, wie Aenea schluckte oder atmete. Meine Liebste sah ganz ruhig aus.
    »Nächster Versuch«, sagte Aenea. Danach wandte sie sich ab, verließ das Podium und ging nach unten, wo Kelche auf einem langen Tisch standen.
    Hunderte von uns spendeten Blut, nur wenige Tropfen, worauf die Kelche den wartenden Massen gereicht wurden. Ich wusste, es war unmöglich, dass eine Million Ousters und Tempelritter von ein paar hundert von uns versorgt werden konnten, die wir die Kommunion bereits von Aenea erhalten hatten, aber die Helfer nahmen ein paar Tropfen mit sterilen Skalpellen, die Tropfen wurden in den großen Weinbehälter geschüttet, Dutzende Helfer hielten Kelchkugeln unter die Hähne, und binnen einer Stunde hatten alle die Kommunion mit Aeneas Blut-Wein bekommen, die sie haben wollten. Es wurde leerer in der riesigen Kugel.
    Nach ihren zwei Worten war den ganzen Abend lang nichts weiter gesagt worden. Zum ersten Mal an diesem langen – endlosen – Tag herrschte Schweigen in der Transportkapsel, die uns nach Hause zurückbrachte...
    nach Hause, in unseren Abschnitt des Sternenbaums zurück, im Schatten der Yggdrasill, die binnen zwanzig Stunden aufbrechen sollte.
    Ich war mir wie ein Scharlatan vorgekommen. Ich hatte den Wein vor fast vierundzwanzig Stunden getrunken, aber den ganzen Tag nichts gespürt... nichts außer meiner üblichen Liebe zu Aenea, was heißen soll, meine absolut unübliche, einmalige, beispiellose Liebe zu Aenea.
    Die Massen, die trinken wollten, hatten getrunken. Es war leer geworden in der großen Kugel, und selbst diejenigen, die nicht zur Kommunion gekommen waren, schwiegen – ob aus Enttäuschung über die nur aus zwei Worten bestehende Rede meiner Liebsten oder weil sie über etwas Tiefschürfenderes nachdachten, vermochte ich nicht zu sagen.
    Wir fuhren mit der Transportkapsel in unseren Abschnitt des Sternenbaums zurück und schwiegen, abgesehen von den allernotwendigsten Unterhaltungen. Es war kein peinliches oder enttäuschtes Schweigen, mehr ein Schweigen der Ehrfurcht, die an Furcht grenzt, wie man sie empfindet, wenn ein Teil des Lebens abgeschlossen ist und ein neuer beginnt...
    hoffentlich beginnt.
    Nächster Versuch. Aenea und ich liebten uns trotz unserer Müdigkeit und der späten Stunde in der dunklen Wohnkapsel. Unser Liebesakt war langsam und zärtlich und fast unerträglich angenehm.
    Nächster Versuch. Das waren die letzten Worte, die mir durch den Kopf gingen, als ich endlich... buchstäblich... in Schlaf fiel.
    Nächster Versuch. Ich begriff. Ich versuchte es mit Aenea, hatte mich für ein Leben mit Aenea entschieden. Und ich glaube, sie hatte sich für mich entschieden.
    Und morgen, und übermorgen, und überübermorgen würden wir es wieder versuchen und uns wieder füreinander entscheiden.
    Nächster Versuch. Ja. Ja.

27

    Mein Name ist Jacob Schulmann. Ich schreibe diesen Brief an meine Freunde in Lodz:
    Meine lieben Freunde, ich habe gewartet, bis mir bestätigt wurde, was ich gehört habe. Nun wissen wir zu unserem großen Kummer alles. Ich habe mit einem Augenzeugen gesprochen, der entkommen ist. Er hat mir alles erzählt. Sie werden in Chelmno in der Nähe von Dombie exekutiert und alle im Wald von Rzuszow begraben. Die Juden werden auf zweierlei Art getötet: durch Erschießen oder durch Gas. Das ist gerade Tausenden Juden aus Lodz passiert. Glaubt nicht, dass diese Zeilen von einem Irren geschrieben werden. Denn es ist die tragische, schreckliche Wahrheit.
    »Grauen! Grauen! Mensch, leg deine Kleidung ab, streue Asche auf dein Haupt, lauf durch die Straßen, und tanze in deinem Wahnsinn.« Ich bin so müde, dass ich nicht mehr schreiben kann. Schöpfer des Universums, hilf uns!
    Ich schreibe den Brief am 19. Januar 1942. Ein paar Wochen später, während einer Tauwetterperiode im Februar, als ein falscher Geruch von Frühling durch den Wald um unsere Stadt Grabow weht, werden wir – die Männer im Lager – auf Lastwagen verladen. Auf einige der Lastwagen sind bunte Bilder von tropischen Bäumen und Tieren des Dschungels gemalt.
    Das sind die Kinderlastwagen von letztem Jahr, als sie die Kinder aus dem Lager fortgebracht hatten. Die Farbe ist im Lauf des Winters verblasst, und die Deutschen haben sich nicht die Mühe gemacht, die Bilder zu retuschieren, sodass die bunten Motive zu verblassen scheinen wie die Träume des letzten Sommers.
    Sie fahren uns fünfzehn Kilometer nach Chelmno, das die Deutschen Kulm

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