Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
mich neben Grandam auf den Felsen. Sie ist die Mutter meiner verstorbenen Mutter, ihr Gesicht ist unser Gesicht, nur älter, mit verwitterter Haut, kurzem weißem Haar, kräftigen Knochen in einem markanten Gesicht, einer schmalen Nase und braunen Augen mit Lachfältchen in den Augenwinkeln.
    »Endlich bist du wieder da«, sagt die ältere Frau. »War die Reise nach Hause angenehm?«
    »Aye«, sage ich. »Tom ist mit uns von Port Romance aus an der Küste entlang auf der Straße des Schnabels gefahren, statt die Gebühr für die Fähre durch die Sümpfe zu zahlen. In der ersten Nacht haben wir im Gastbaus Benbroke übernachtet, und in der zweiten am Suiss ein Lager aufgeschlagen.«
    Grandam nickt. Ihre Finger sind mit Nähen beschäftigt. Neben ihr auf dem Felsen steht ein Korb mit Kleidungsstücken. »Und die Ärzte?«
    »Die Klinik war groß«, sage ich. »Die Christen haben sie ausgebaut, seit wir zum letzten Mal in Port Romance waren. Die Schwestern... die Krankenschwestern... waren sehr freundlich während der Tests.«
    Grandam wartet.
    Ich schaue das Tal hinab, wo sich die Sonne über die dunkle Wolkendecke erhebt. Licht fällt auf das obere Tal, wirft subtile Schatten hinter flache Felsen und auf steinige Hügelkuppen und setzt das Heidekraut in Brand. »Es ist Krebs«, sage ich. »Die neue Variante.«
    »Das wussten wir vom Arzt in Moor’s Edge«, sagt Grandam. »Was für eine Prognose haben sie gestellt?«
    Ich hebe ein Hemd hoch – es ist eines von Trorbe, gehört aber seinem Bruder, Rauls Onkel Ley. Ich nehme selbst Nadel und Faden von meiner Schürze und nähe den Knopf an, den Trorbe kurz vor seinem letzten Jagdausflug nach Norden verloren hat. Meine Wangen sind heiß bei dem Gedanken, dass ich Ley das Hemd ohne den Knopf gegeben habe. »Sie haben mir geraten, dass ich das Kreuz akzeptieren soll«, sage ich.
    »Es gibt kein Heilmittel?«, fragt Grandam. »Mit ihren ganzen Maschinen und Medikamenten?«
    »Es gab eines«, sage ich. »Aber offenbar basierte es auf der Molekulartechnologie...«
    »Nanotech«, sagt Grandam.
    »Ja. Und die Kirche hat sie vor einiger Zeit verboten. Die höher entwickelten Welten haben andere Behandlungsmethoden.«
    »Aber Hyperion nicht«, sagt Grandam und legt die Kleidungsstücke in ihrem Schoß beiseite.
    »Richtig.« Ich fühle mich sehr müde, als ich das sage, immer noch ein wenig krank nach der Reise und den Tests, und sehr ruhig. Aber auch sehr traurig. Ich kann Raul und die anderen Jungs hören, deren Lachen der Wind herüberträgt.
    »Und als einzigen Rat empfehlen sie ihr Kreuz«, sagt Grandam, und das letzte Wort hört sich sehr kurz und schneidend an.
    »Ja. Ein sehr netter junger Priester hat sich gestern stundenlang mit mir unterhalten.«
    Grandam sieht mir in die Augen. »Und wirst du es tun, Kaltryn?«
    Ich erwidere ihren Blick. »Nein.«
    »Bist du sicher?«
    »Völlig sicher.«
    »Trorbe wäre am Leben und jetzt bei uns, wenn er die Kruziform letztes Frühjahr akzeptiert hätte, wie ihn der Missionar angefleht hat.«
    »Nicht mein Trorbe«, sage ich und wende mich ab. Zum ersten Mal, seit die Schmerzen vor sieben Wochen angefangen haben, weine ich. Nicht meinetwegen, das weiß ich, sondern wegen der Erinnerung an Trorbe, der lächelte und winkte an jenem letzten Morgen bei Sonnenaufgang, als er mit seinem Bruder aufgebrochen war, um in der Nähe der Küste Salzwasseribsons zu jagen.
    Grandam nimmt meine Hand. »Denkst du an Raul?«
    Ich schüttele den Kopf. »Noch nicht. In ein paar Wochen werde ich an nichts anderes mehr denken.«
    »Du weißt, dass du dir seinetwegen keine Gedanken machen musst«, sagt Grandam leise. »Ich kann mich noch daran erinnern, wie man einen Jungen aufzieht. Ich habe immer noch Geschichten zu erzählen und Wissen weiterzugeben. Und ich werde die Erinnerung an dich in ihm wach halten.«
    »Er wird noch so jung sein, wenn...«, sage ich und verstumme.
    Grandam drückt mir die Hand. »Die Jungen erinnern sich am deutlichsten«, sagt sie leise. »Wenn wir alt und gebrechlich sind, können wir die Erinnerungen an die Kindheit am leichtesten wachrufen.«
    Der Sonnenuntergang ist strahlend, aber durch meine Tränen verschleiert.
    Ich wende das Gesicht halb von Grandams Blick ab. »Ich will nicht, dass er sich erst im Alter an mich erinnert. Ich will ihn sehen. .. jeden Tag... ihn spielen und aufwachsen sehen.«
    »Erinnerst du dich an das Gedicht von Ryokan, das ich dir beigebracht habe, als du kaum älter als Raul warst?«, fragt

Weitere Kostenlose Bücher