Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
lang die Rippen wehtun. Der Priester trägt eine schlichte schwarze Soutane und einen Priesterkragen. St. Anna ist nicht die große Gemeindekirche, die wir im Vatikan gesehen haben, sondern eine kleine Kapelle aus Backsteinen und Lehmziegeln inmitten eines geräumten Areals am Ostufer. Anscheinend besteht die Gemeinde aus rund hundert Familien, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dass sie in einem ehemaligen großen Park diesseits des Raumhafens Ackerbau betreiben und jagen. Ich werde den meisten dieser hundert Familien vorgestellt, als wir draußen in dem beleuchteten Raum beim Foyer der Kirche essen, und alle scheinen zu wissen, wer ich bin –
alle tun so, als würden sie mich persönlich kennen, und alle scheinen aufrichtig dankbar zu sein, dass ich lebe und in die Welt der Lebenden zurückgekehrt bin.
Später in der Nacht ziehen sich Kee, de Soya und ich in das Privatgemach des Priesters zurück: ein spartanisches Zimmer, das an die Rückwand der Kirche grenzt. Pater de Soya holt eine Flasche Wein und schenkt jedem von uns ein volles Glas ein.
»Einer der wenigen Vorteile des Endes der Zivilisation, wie wir sie kennen«, sagt er, »ist, dass man überall private Weinkeller mit exquisiten Jahrgängen freilegen kann. Und es ist nicht einmal Diebstahl. Es ist Archäologie.«
Kee hebt das Glas für einen Trinkspruch und zögert. »Auf Aenea?«, schlägt er vor.
»Auf Aenea«, sagen Pater de Soya und ich. Wir leeren unsere Gläser, der Priester schenkt nach.
»Wie lange war ich weg?«, frage ich. Der Wein macht mein Gesicht rot, wie immer. Aenea hat mich oft deswegen aufgezogen.
»Seit dem Gemeinsamen Augenblick sind dreizehn Standardmonate vergangen«, sagt de Soya.
Ich schüttle den Kopf. Ich musste die Zeit, in der ich die Erzählung niederschrieb und auf den Tod wartete, in Arbeitsintervallen von dreißig Stunden und mehr verbracht haben, dann ein paar Stunden Schlaf und wieder dreißig oder vierzig Stunden am Stück. Ich hatte etwas hinter mir, was Schlafforscher Freilauf nennen: Ich hatte jeglichen Bezug zum normalen Schlafrhythmus verloren.
»Haben Sie Verbindung zu den anderen Welten?«, frage ich. Ich sehe Kee an und beantworte meine eigene Frage. »Das müssen Sie. Bassin hat mir von den Reaktionen anderer Welten auf den Gemeinsamen Augenblick und von der Rückkehr der entführten Milliarden erzählt.«
»Ein paar Schiffe sind hier gelandet«, sagt de Soya, »aber da die Erzengel-Schiffe weg sind, dauert Reisen Zeit. Die Tempelritter und Ousters benutzen ihre Raumschiffe, um die Entführten nach Hause zu bringen, aber wir anderen benutzen den Hawking-Antrieb nur noch ungern, nachdem wir wissen, welchen Schaden er dem Medium der Bindenden Leere zufügt.
Und sosehr sich alle bemühen, die wenigsten haben gelernt, die Sphärenmusik deutlich genug zu hören, dass sie den ersten Schritt wagen können.«
»Das ist gar nicht so schwer«, sage ich und kichere in mich hinein, während ich den köstlichen Wein trinke. »Es ist gottverdammt schwer«, füge ich hinzu. »Entschuldigung, Pater.«
De Soya nickt nachsichtig. »Es ist gottverdammt schwer. Ich glaube, ich war hundertmal nahe dran, aber im letzten Moment verliere ich immer die Konzentration.«
Ich sehe den kleinen Priester an. »Sie sind katholisch geblieben«, sage ich schließlich.
Pater de Soya trinkt Wein aus einem alten Glas. »Ich bin nicht nur katholisch geblieben, Raul. Ich habe neu entdeckt, was es heißt, katholisch zu sein. Ein Christ zu sein. Ein Gläubiger zu sein.«
»Auch nach Aeneas Gemeinsamem Augenblick?«, sage ich. Mir entgeht nicht, dass Corporal Kee uns vom Ende des Tischs beobachtet. Schatten der Öllampen tanzen an den warmen erdfarbenen Wänden.
De Soya nickt. »Mir war schon klar, wie korrupt die Kirche in ihrem Pakt mit dem Core war«, sagt er sehr leise. »Aeneas Einblicke, die sie mit uns teilte, haben mich nur darin bestätigt, was es für mich heißt, ein Mensch zu sein... und ein Kind Christi.«
Darüber denke ich noch eine Minute später nach, als Pater de Soya hinzufügt: »Man spricht davon, mich zum Bischof zu machen, aber das werde ich zu verhindern wissen. Darum bin ich in dieser Region von Pacem geblieben, obwohl die meisten lebensfähigen Gemeinden fern der alten städtischen Regionen liegen. Ein Blick auf die Ruinen unserer wunderbaren Tradition auf der anderen Seite des Flusses erinnert mich daran, welche Torheit es ist, zu sehr auf Hierarchien zu bauen.«
»Also gibt es keinen Papst?«,
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