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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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finden, wenn ich kann.«
    »Haben Sie eine Ahnung, wo das Kind ist?«, fragt Kee.
    Ich seufze und schüttle den Kopf. »Keine. Aber ich werde auf jede Welt im alten Pax und dem Outback ‘casten, und auf jede Welt der Galaxis, wenn es sein muss. Jenseits der Galaxis...« Ich verstumme. Ich bin betrunken, und dies ist zu wichtig, um betrunken darüber zu reden. »Jedenfalls werde ich damit in ein paar Minuten anfangen.«
    Pater de Soya schüttelt den Kopf. »Sie sind erschöpft, Raul. Verbringen Sie die Nacht hier. Bassin hat eine Gästepritsche in seinem Haus nebenan.
    Wir werden heute Nacht alle gut schlafen und Sie am Morgen verabschieden.«
    »Muss jetzt gehen«, sage ich und will aufstehen, um ihnen zu zeigen, dass ich klar denken und entschlossen handeln kann. Das ganze Zimmer kippt, als wäre der Boden plötzlich zur Südseite von Pater de Soyas kleinem Haus geworden. Ich greife nach dem Tisch, um mich abzustützen, verfehle ihn beinahe und falle zurück.
    »Vielleicht wäre es doch besser, bis morgen zu warten«, sagt Pater Duré, steht auf und legt mir seinen kräftigen Arm um die Schulter.
    »Ja«, sage ich, stehe wieder auf und stelle fest, dass das Schwanken des Bodens ein wenig nachgelassen hat. »Morgen is besser.« Ich schüttle ihnen allen wieder die Hand. Zweimal. Ich bin wieder ganz kurz davor, zu weinen, aber diesmal nicht vor Kummer, auch wenn der Kummer da ist, stets im Hintergrund, wie die Symphonie der Sphären, sondern aus schierer Erleichterung über ihre Anwesenheit. Ich bin so lange allein gewesen.
    »Kommen Sie, Freund«, sagt Corporal Bassin Kee von den Marines des Pax und dem Corps Helvetica, legt mir eine Hand auf die Schulter und geht mit mir und dem einstigen Papst Teilhard zu seinem kleinen Zimmer, wo ich auf eine der beiden Pritschen falle. Ich schlafe schon ein, als ich spüre, wie mir jemand die Schuhe auszieht. Ich glaube, es ist der ehemalige Papst.
    Ich hatte vergessen, dass der Tag auf Pacem nur neunzehn Stunden hat. Die Nächte sind zu kurz. Am Morgen bin ich immer noch vom Hochgefühl meiner Freiheit erfüllt, habe aber Schmerzen im Kopf, Schmerzen im Rücken, Schmerzen im Bauch, Schmerzen in den Zähnen, Schmerzen in den Haaren und bin sicher, dass sich eine Schar kleiner, pelziger Lebewesen in meinem Rachen eingenistet hat.
    Im Dorf vor der Kapelle herrscht regsame Morgenbetriebsamkeit. Alles ist zu laut. Feuer zum Kochen prasseln. Frauen und Kinder gehen ihren Arbeiten nach, während die Männer mit denselben stoppeligen, waidwunden Mienen und blutunterlaufenen Augen aus den einfachen Hütten kommen, wie ich sie mit Sicherheit der Welt momentan auch präsentiere.
    Aber die Priester sind in Bestform. Ich sehe ein rundes Dutzend Gemeindemitglieder die Kapelle verlassen, und mir wird klar, dass de Soya und Duré eine Frühmesse gelesen haben, während ich geschnarcht habe.
    Bassin Kee kommt vorbei, begrüßt mich mit einer viel zu lauten Stimme und zeigt mir ein winziges Gebäude – das Waschhaus der Männer. Die Ausstattung besteht aus einer Leitung für eiskaltes Wasser, das in einen Sammelbehälter gepumpt wird, den man in einer einzigen Sekunde, in der einem das Mark in den Knochen gefriert, als Dusche über sich ausschütten kann. Der Morgen ist für Pacem typisch kühl, genau wie die frühen Morgenstunden in achttausend Meter Höhe auf T’ien Shan, und die Dusche macht mich schlagartig hellwach. Kee hat mir frische neue Kleidung gebracht – weiche Kordhosen, ein blaues Hemd aus fein gesponnener Wolle, einen breiten Gürtel und derbe Schuhe, die weitaus bequemer sind als die Halbstiefel, die ich störrisch mehr als ein Jahr lang in der Schrödinger-Katzenkiste getragen habe. Rasiert, gewaschen, mit frischer Kleidung, eine Tasse dampfenden Kaffee in der Hand, den Textschiefer an einem Gurt über der Schulter, fühle ich mich wie ein neuer Mensch. Mein erster Gedanke angesichts dieses Wohlbefindens ist: Aenea hätte dieser strahlende Morgen gefallen, und schon verdunkeln wieder Wolken das Sonnenlicht für mich.
    Die Patres Duré und de Soya treten auf einem großen Felsen mit Ausblick auf den verschwundenen Fluss zu mir. Die Trümmer des Vatikans sehen wie eine Ruine aus längst vergangenen Zeiten aus. Ich sehe die Windschutzscheiben fahrender Bodenautos im hellen Morgenlicht funkeln, sehe vereinzelt EMVs hoch über der verwüsteten Stadt dahinfliegen, und mir wird wieder klar, dass dies kein zweiter Fall ist – nicht einmal Pacem ist in die Barbarei zurückgefallen.

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