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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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in die von Leben erfüllte City zurück.
    Peter und Jane hatten mich mit ihrem riesigen Kombi direkt aus der Uni abgeholt, damit wir keine Minute verloren. Trotzdem hatten wir vor fast jeder Ampel scheinbar endlos warten müssen, und im nachhinein kam es mir fast wie vom Schicksal gesteuert vor: Als hätte der unsichtbare Geist des Molochs Stadt uns in letzter Minute noch vor Wolfham bewahren wollen.
    Jede Stadt hat ihre Schatten. Damit meine ich nicht die häßlichen Baracken, die Arbeitersiedlungen oder die tristen Hochhaussilos von Wolfham, sondern etwas ganz Spezielles. Ein Gefühl, das man nicht beschreiben kann, wie einen dunklen Flecken auf der weißen Weste. Etwas, vor dem man - selbst wenn man in New York aufgewachsen war und glaubte, alle Tiefen des Daseins zu kennen - zurückschrak.
    Ich hatte, als die beiden mich abholten, bereits den Koffer fürs Wochenende gepackt. Es fiel uns schwer, ihn auf der Ladefläche zu verstauen, die vollgepackt war mit Werkzeugen, Farbeimern und was man noch alles brauchte, um der Leiche eines alten Hauses ein einigermaßen erträgliches Make-up zu verpassen. Selbst das Dach war überladen, vollgeschnürt mit Kisten und Kästen, in denen sich alles Mögliche verbergen mochte. Auf den ersten Blick schien es so, als wollten Peter und Jane für ein halbes Jahr verreisen, mit möglichst viel Schmuggelware. Aber Peter war halt ein Perfektionist, der nichts dem Zufall überließ.
    Mein Aufenthalt in Wolfham würde dagegen nur zwei Tage dauern, und wenn mir wirklich die ganze Atmosphäre zu bedrückend würde, dann könnte ich mich mit einem Vorwand immer noch verdrücken oder zumindest abends nach Hause fahren und dort übernachten.
    *
    Die Räume in der unteren Etage des Hauses schienen riesig; schon der Korridor hatte etwas Kathedralenhaftes - jedoch ohne Erhabenheit oder gar Stil. Es war einfach die Höhe, die Größe, die man, wenn man draußen vor dem alten Haus stand, gar nicht vermutet hätte.
    Aber auch das hatte dieses Gebäude mit einer Kathedrale gemein: Je unscheinbarer sie von außen wirken, desto beeindruckender war oft ihr Innenleben. Von Schönheit war in diesem Haus allerdings nichts zu sehen. Es war einfach nur seltsam.
    Wenn das Haus wirklich erst seit zwei Wochen leerstand, dann mußte die alte Petrikowski, die ehemalige Besitzerin, hier schon seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr renoviert haben. An irgendeinem Punkt ihres Lebens hatte sie sich wohl dafür entschieden, ihre Hände einfach nur noch in den Schoß zu legen und die Allianz mit diesem Haus, zumindest was die Instandhaltung betraf, zu kündigen. Das Haus und sie waren verschiedene Wege gegangen, und beide hatten ins Vergessen geführt.
    Wenn ich daran dachte, hier zu renovieren, dann kam mir unwillkürlich der Vergleich mit einem Sanitäter in den Sinn, der einem todkranken Patienten einfach einen neuen Anzug überzieht, um die Verwandten zu täuschen.
    Tapetenfetzen hingen von den Wänden herab. Dem Design und den Farben nach zu urteilen, mußten die Tapeten aus den frühen Siebziger Jahren stammen. Die Farbe des morsch wirkenden Treppengeländers, das sich spiralenförmig wie das Innere eines Schneckenhauses in die obere Etage wand, blätterte ab, sobald man es berührte. Ich konnte noch nicht einmal definieren, was für eine Farbe es war; irgendein Ton zwischen Braun und Grau. Und überall lag zentimeterdicker Staub, in dem sich Dutzende von Fußspuren abzeichneten. Fußspuren, die nicht nur von uns stammten, sondern von älteren Besuchern dieses Hauses.
    Aber es waren nicht nur Schuhspuren zu sehen, sondern auch solche von Pfoten. Ob sich hier irgendwelche streunenden Hunde oder Katzen breitgemacht hatten, während das Innere des Hauses nach und nach verfallen war?
    Schlimmer als der verwahrloste Zustand war aber der Gestank, der uns malträtierte.
    Ich hatte nicht gedacht, einmal mit einer derartigen Belästigung meiner Geruchsnerven konfrontiert zu werden. Im ersten Moment hatte ich mich instinktiv wieder umgewandt, um die frische Luft von draußen einzuatmen.
    Es dauerte einige Minuten, bis ich mich halbwegs an den Gestank gewöhnt hatte. Im ganzen Haus roch es nach Wild. Nicht etwa so, wie es riecht, wenn man ein schmackhaftes Gericht zubereitet, sondern als würde man über einen schwarzen, verbrannten Waldboden wandern und den aufgedunsenen Leibern erstickter Hirsche begegnen. Obwohl der allgegenwärtige Wildgeruch wie eine Dunstglocke über ganz Wolfham lag, was wahrscheinlich von den

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