Engel aus Eis
Es handelt sich um einen norwegischen Widerstandskämpfer namens Hans Olavsen, der in Fjällbacka war und …«
»Gegen Ende des Krieges, ich weiß«, fiel Christian ihr lakonisch ins Wort.
»Kennst du ihn?«, fragte Erica verblüfft.
»Nein, aber du bist innerhalb von zwei Tagen schon die Zweite, die nach ihm fragt. Scheint ein beliebter Typ zu sein.«
»Wer hat sich denn noch nach ihm erkundigt?« Erica hielt die Luft an.
»Moment, da muss ich nachsehen.« Christian rollte seinen Bürostuhl zu einem Aktenschränkchen. »Er hat mir für den Fall, dass ich noch etwas über den Mann finde, seine Karte hiergelassen. Dann soll ich ihn anrufen.« Summend durchwühlte er die Kiste, fand aber am Ende das Gesuchte.
»Ach, hier ist ja die Visitenkarte. Kjell Ringholm.«
»Danke, Christian«, lächelte Erica. »Nun weiß ich, mit wem ich mich dringend unterhalten muss.«
»Das klingt aber ernst«, grinste Christian, aber sein Lächeln reichte nicht bis zu den Augen.
»Ich will vor allem wissen, warum er sich so für Hans Olavsen interessiert …« Erica dachte laut nach. »Hast du denn etwas gefunden, als Kjell Ringholm hier war?«
»Nur das Material, das ich dir bei deinem letzten Besuch gegeben habe. Ich kann dir also leider nicht weiterhelfen.«
»Das war aber eine magere Ausbeute«, seufzte Erica. »Dürfte ich mir vielleicht die Telefonnummer von der Karte aufschreiben?«
»Be my guest.«
»Danke.« Sie zwinkerte ihm zu, und er blinzelte müde zurück.
»Wie läuft es eigentlich mit deinem Buch?«, fragte sie plötzlich. »Bist du sicher, dass ich dir nicht irgendwie helfen kann? Es soll doch Die Meerjungfrau heißen, oder?«
»Doch, das läuft«, erwiderte er in einem seltsamen Tonfall, »und es soll tatsächlich Die Meerjungfrau heißen, aber wenn du mich jetzt vielleicht entschuldigen würdest. Ich habe einiges zu tun …« Er wandte ihr den Rücken zu und begann, auf seiner Tastatur zu tippen. Verdutzt verließ Erica die Bibliothek. So hatte Christian sich noch nie benommen. Doch nun hatte sie andere Dinge im Kopf. Zum Beispiel ein Gespräch mit Kjell Ringholm.
Sie hatten vereinbart, sich draußen auf Veddö zu treffen. In dieser Jahreszeit bestand keine große Gefahr, dass sie jemand sah, und falls doch, waren sie einfach zwei alte Männer, die zusammen einen Spaziergang machten.
»Stell dir vor, man hätte gewusst, was vor einem lag.« Axel trat gegen einen Stein, der über den Strand kullerte. Im Sommer diente dieser Strand auch als Weide, und man sah nicht nur Kinder im Wasser planschen, sondern auch die eine oder andere Kuh, die sich abkühlte. Doch nun war dieser Ort vollkommen verlassen, und der Wind trieb trockenen Seetang über den Sand. Sie hatten eine stumme Übereinkunft getroffen, nicht über Erik zu sprechen. Und nicht über Britta. Keiner von beiden wusste so genau, warum sie sich überhaupt verabredet hatten. Es hatte doch gar keinen Sinn und würde nichts ändern. Dennoch hatten sie das Bedürfnis. Wie ein Mückenstich, der gekratzt werden wollte. Und obwohl sie – genau wie bei einem Insektenstich – wussten, dass es nur noch schlimmer werden würde, wenn sie der Versuchung nachgaben.
»Es ist doch der Witz daran, dass man nichts weiß.« Frans blickte aufs Wasser. »Wenn man eine Kristallkugel hätte, in der man seine Zukunft sehen könnte, hätte man bestimmt nicht die Kraft, morgens aufzustehen. Man bekommt das Leben in kleinen Portionen serviert. Sorgen und Probleme sind immer so groß, dass man sie gerade noch kauen und verdauen kann.«
»Manchmal sind die Portionen zu groß.« Axel kickte noch einen Stein weg.
»Da sprichst du von anderen und nicht von dir und mir.« Frans drehte sich zu Axel um. »Von außen betrachtet, wirken wir verschieden, aber wir ähneln uns. Das weißt du. Wir geben nicht auf. Egal, wie groß unsere Ration ist.«
Axel nickte nur. Dann sah er Frans an. »Bereust du etwas?«
Frans dachte lange über die Frage nach. Zögernd antwortete er: »Was soll ich bereuen? Getan ist getan. Wir treffen alle eine Wahl. Du genauso wie ich. Ob ich etwas bereue? Nein, wozu sollte das gut sein.«
Axel zuckte mit den Achseln. »Reue ist wahrscheinlich ein Zeichen von Menschlichkeit. Was wären wir ohne … die Reue?«
»Aber die Frage ist doch, ob die Reue etwas verändert. Für das Thema, mit dem du dich beschäftigt hast, gilt das Gleiche. Rache. Du hast dein ganzes Leben damit verbracht, Täter zu jagen, und deine einzige Absicht ist, Rache zu üben. Ein
Weitere Kostenlose Bücher