Engel der Finsternis (German Edition)
müssen, die er zurückgelassen hatte. Meresin hatte sich nie verzeihen können, was geschehen war.
Sie war längst tot. Aber sie hatte zweifellos einen unbeschreiblich qualvollen Tod erlitten. Damals hatte er nicht gewusst, was geschehen würde. Nun wusste er es. Konnte er im Wissen, dass Franziska das gleiche Schicksal bevorstand, einfach gehen? Meresin wusste, ihm blieb keine Wahl. Er musste sie töten, schnell und schmerzlos. Danach würde er diese Gegend verlassen.
Agreas würde seinen billigen Triumph auskosten. Er würde sich als Sieger fühlen und zum Herrscher über das Wilde Heer und seine kleine Schar von Dämonen aufschwingen. Sehr wahrscheinlich würde er zur rechten Hand Luzifers werden wollen. Aber das wollte Meresin nicht zulassen. Er würde Agreas töten. Bezahlen sollte er für Franzis Tod. Und sein Ende würde weder schnell noch schmerzlos sein.
Ein Heulen tief im Wald riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Zwischen den Bäumen tauchten die Weiber des Wilden Heeres auf. Sie sausten durch die Luft und wirbelten ihre Besen über ihren Köpfen, während sie krächzend und kreischend zwischen den Stämmen hindurch flogen.
Die drei Männer unterbrachen ihre Arbeit und schauten sich verwirrt um. Zwar konnten sie die Weiber hören, aber sehen konnten sie sie nicht. Außer gespenstischen Schatten, unwirklichen Erscheinungen wie Nebelschwaden in der Sonne und tanzenden Luftwirbeln, die von einem Augenblick zum nächsten ihre Form änderten, nahmen die Männer nichts wahr.
Meresin wusste, die Weiber befanden sich auf dem Weg in die Burg. Sie würden Franzi sicher nicht am helllichten Tage entführen. Zumindest nicht, solange sie sich in der Nähe des Kaplans aufhielt. Hieronymus konnte sie zwar auf die Dauer auch nicht schützen, aber er würde so lange die Weiber von ihr fern halten, bis Meresin getan hatte, was er tun musste. Also ließ Meresin die Weiber ziehen.
Die trieben noch ihren Schabernack mit den Holzfällern, warfen ihren Karren um und stießen einen der Männer, der in Angst die Flucht ergreifen wollte, in das eiskalte Wasser des Flusses. Nach Hilfe schreiend fuchtelte er mit den Armen. Die anderen beiden zerrten ihn rasch aus dem Wasser und rannten mit ihm zusammen zurück in die Burg. Das Wilde Heer war längst schon hinter der Palisade verschwunden. Meresin konnte das Vieh in den Ställen der Vorburg brüllen hören. Betrübt dachte er an Franzi. Dann wandte er sich um und verschwand mit kräftigen Flügelschlägen in der Finsternis des undurchdringlichen Waldes.
14. Kapitel
„Haltet ihn auf!“, schrie der Hausmeier. Seine Stimme klang schrill vor Aufregung. „Worauf wartet ihr? Seid ihr zu dumm, einen Ochsen einzufangen?“
Odilo von Schreckenstein war gerade mit einem Schreiber über den Burghof gegangen, als plötzlich die Tiere begannen, verrückt zu spielen. Einer der Ochsen hatte sich losgerissen, rannte nun wild um den Ziehbrunnen herum und versetzte Menschen und Tiere in helle Aufregung. Das Pferd des Müllers bäumte sich wiehernd auf und preschte mitsamt dem zweirädrigen Karren los. Der sechsjährige Sohn des Mannes hockte schreiend auf der Ladefläche zwischen den Säcken und klammerte sich verzweifelt mit seinen kleinen Händchen an den Holzlatten der Wagenwand fest. Der Junge bemerkte gar nicht, dass der Wagen direkt auf die Zugbrücke zuraste, wo sich gerade eine Gruppe fahrendes Volk mit dem Burgkommandanten unterhielt.
„Rainald!“, brüllte Odilo so laut er konnte. „Verschwinde! Mach, dass du da wegkommst!“
Als der Burgkommandant den Wagen näher kommen sah, machte er seinem Ruf, ein furchtloser Kämpfer zu sein, alle Ehre. Während die anderen, selbst die Wachsoldaten, alles stehen und liegen ließen und in alle Richtungen davonstoben, rannte er todesmutig dem Karren entgegen und sprang mit einem Satz auf das Pferd. Mit aller Kraft zerrte er an den Zügeln, bis das Tier endlich stehen blieb.
„Was ist denn hier los? Sind die Viecher alle verrückt geworden?“ Er stieg vom Pferd und überquerte mit großen Schritten den Burghof. „Schafft den Ochsen hier weg!“, befahl er den Knechten, denen es endlich gelungen war, das Tier zu beruhigen.
Aus den Ställen schallte ein unbeschreiblicher Lärm über den Hof. Noch immer keilten die Pferde aus, die Schafe rannten mit den Köpfen gegen die Wände ihres Stalles und die Hühner versuchten gackernd und flatternd ins Freie zu entkommen.
„Nicht schon wieder!“, stöhnte Odilo auf und blickte besorgt zu
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