Engel der Finsternis (German Edition)
blieben stehen, wo sie sich befanden. Die Bauern konnten sie nicht sehen.
„Unsere Aufgabe ist es, den Glauben der Frauen auf die Probe zu stellen, und nicht, sie ins Elend zu stoßen. Franziska hat nichts getan.“
„Sie hat dich schon mehrfach gerufen!“
„Aber nur, weil sie anderen helfen wollte oder nicht mehr weiter wusste. Sie will nichts für sich. Sie denkt nur an andere.“
Agreas lachte hämisch, so dass sich sein ansonsten schönes Gesicht zu einer hässlichen Fratze verzog. „Hat sie dich etwa nicht um Hilfe gebeten, als der Graf sich ihrer bemächtigen wollte? Hat sie da auch nur an das Wohl anderer gedacht? Es gab schon mehr als eine Gelegenheit, bei der du sie hättest prüfen können. Und du weißt, dass sie zu allem bereit ist. Du müsstest sie nur …“
„Ich bin ein Engel, kein Verführer!“
„Du warst ein Engel“, korrigierte Agreas voller Behagen. „Und du bist hier, um Frauen zu verführen - in Seinem Auftrag. Vergiss das nicht.“
„Franziska würde nie eine Sünde begehen, wenn sie nicht dazu gezwungen wäre. Wenn du jemanden ins Unglück stößt, so dass er keinen anderen Ausweg mehr sieht, wird er natürlich vom wahren Glauben abfallen. Die Menschen sind schwach. Es liegt in ihrer Natur, und Er weiß das.“
Agreas erwiderte nichts. Er betrachtete Meresin voller Verachtung. Ihn widerte dieses Geschwätz einfach nur noch an. Für Agreas war es Einerlei, aus welchem Grund ein Mensch sündigte, Hauptsache er tat es. Er machte keine Unterschiede, Meresin schon.
„Du kannst Franzi nicht mit ihrer Schwester oder der Gräfin vergleichen“, fuhr Meresin mit fester Stimme fort. „Diese beiden Weiber waren von Anfang an bereit, ihre Seele zu verkaufen. Sie sind und waren voller Hass, Franziska nicht. Wie ich bereits sagte, sie will niemandem etwas zu leide tun. Es ist nicht recht, sie ins Unglück zu stürzen.“
„Kennst du die Geschichte von Hiob?“
Meresin schüttelte fast unmerklich den Kopf. „Und du? Weißt du, wie diese Geschichte ausging? Hiob blieb am Leben und starb als reicher Mann in der Gnade Gottes. Wenn du Franziska verführst, ist sie für alle Zeiten verdammt.“
Agreas verlor allmählich die Geduld mit seinem Widersacher. „Was soll diese Diskussion überhaupt? Wir sind hier, weil Er uns einen Auftrag erteilt hat, und den haben wir zu erfüllen - ohne Wenn und Aber. Oder willst du Seinen Willen in Frage stellen? Also gib das Mädchen frei oder erledige sie selbst. So oder so, sie wird uns nicht entkommen.“ Ohne sich auf eine weitere Diskussion einzulassen, wandte Agreas sich ab, warf einen flüchtigen Blick auf die drei Bauern, die begonnen hatten, einen der großen Bäume zu fällen, und flog davon.
Meresin sah ihm nicht nach. Er war in Gedanken versunken. Wieder und wieder dachte er darüber nach, was er tun konnte. Seit er gehört hatte, dass Walburga ihre Schwester an das Wilde Heer verkauft hatte, waren ihm die Hände gebunden. Er durfte die nachtfahrenden Weiber nicht von Franzi fern halten. So war Gottes Wille. Doch wenn er nicht Eingriff, war sie verloren.
Die einzige Möglichkeit, sie zu retten, bestand darin, sie zu seiner Gefährtin zu machen. Doch das würde bedeuten, dass sie dasselbe Schicksal erleiden würde wie die Gräfin. Ihr die Wahrheit zu sagen, kam auch nicht in Frage. Sie würde mit dem Kaplan reden, so wie sie es bereits getan hatte, und dann wäre er ein Verräter. Meresin kannte die Strafe für Verrat. Es wäre ein Verrat an Gott. Man würde ihn auf der Stelle in die Hölle zurückbringen. Dann wäre Franzi ebenso schutzlos wie zuvor und das Wissen würde ihr nichts nützen. Oder etwa doch? Würde es die Menschen davon abhalten, sich mit Agreas und den anderen Dämonen einzulassen? Sie würden neue Lügen ersinnen und die Menschen irgendwie dazu bringen, ihnen zu glauben. Frauen wie Walburga oder Katharina glaubten nur das, was sie glauben wollten. Sie würden sich verführen lassen, selbst wenn er Franzi die Wahrheit anvertrauen würde. Die einzige Möglichkeit bestand darin, Franzi zu töten. So könnte er ihr wenigstens unnötige Leiden ersparen.
Agreas und Balam hatten offenbar vor, ihr Gewalt anzutun, ehe sie Franzi dem Wilden Heer überließen. Und so wie er die Weiber kannte, würden sie ihr kein schnelles Ende bereiten. Während Meresin daran dachte, was sie Franzi alles antun konnten, überkam ihn ein Zorn, den er kaum noch zu bändigen vermochte. Er hatte schon einmal eintausend Jahre lang an eine Frau denken
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