Engel der Finsternis (German Edition)
aber anders als sonst herrschte keine ausgelassene Feststimmung in der Küche. Stattdessen vermieden die Knechte und Mägde jede Unterhaltung. Nur die Stimme des Koches war zu hören. Denn trotz der angespannten Atmosphäre wollte der Graf nicht auf sein gewohntes Weihnachtsmahl verzichten. Es roch nach Braten, Gemüsesuppe und Kuchen.
Walburga, die seit drei Tagen in dem lichtlosen Kerker saß und außer einigen schimmligen Brotkanten und halb verfaulten Äpfeln nichts zu essen bekommen hatte, bekam von dem verführerischen Duft Magenkrämpfe. Auf allen Vieren kroch sie hustend über das nach Exkrementen stinkende, feuchte Stroh hinüber zur Tür, und trommelte kraftlos mit der Faust gegen das Holz.
„Jakobus!“, rief sie mit schwacher Stimme. „Ich bitte dich, bring mir etwas zu essen, ich verhungere!“
„Hörst du das? Was bist du nur für ein Mensch? Willst du sie so sterben lassen?“
„Sie ist eine Dämonenbeschwörerin!“, antwortete der Soldat in feindseligem Ton und wich dem Blick des Pfarrers aus. „Soll sie doch verrecken! Je eher desto besser.“
„Der Graf hat sie noch nicht verurteilt“, beharrte Jakobus. „Sollte sich herausstellen, dass sie unschuldig ist, hast du sie auf dem Gewissen. Glaubst du, der Graf wird darüber sehr erfreut sein?“ Das half. Der Soldat kratzte sich nervös am Kinn und leckte nervös mit der Zunge über seine Wulstlippen.
„Gut! Aber nur einen Moment. Ich will nicht, dass der Kommandant dich da drin erwischt.“
Der Soldat öffnete die kleine Pforte zum Kerker, in dem Walburga ausharren musste. Jakobus verschlug es den Atem. In dem fensterlosen, kleinen Verschlag stank es bestialisch. Walburga war gezwungen, ihre Notdurft dort zu verrichten, wo sie schlief. Niemand erlaubte ihr, die Zelle zu säubern. Die Tür wurde nur geöffnet, um ihr das wenige Essen zukommen zu lassen. Der Küchenbursche, der diese undankbare Aufgabe zugewiesen bekommen hatte, fürchtete sich so sehr vor der vermeintlichen Teufelsanbeterin, dass er ihr das faulige Obst und die schimmligen Essensreste einfach vor die Füße warf und die Tür sofort wieder zuschlug. Das Essen landete nicht selten mitten in Walburgas Ausscheidungen. Schon am zweiten Tag litt sie an Durchfall und Erbrechen, was den Gestank noch bedeutend verschlimmerte.
Jakobus dachte im ersten Moment, er müsste sich übergeben. Obwohl er in einem Bauerndorf lebte und einiges gewohnt war, hatte er so etwas in seinem ganzen Leben noch nie gesehen. Er hob die Fackel in die Höhe und leuchtete die Wände der Zelle entlang. Die modrigen Steine strahlten eine Eiseskälte ab, wie auch der Boden. Der war zudem mit einer fingerdicken, schmierigen Dreckschicht überzogen, die das ausgestreute Stroh schmutzig braun gefärbt hatte. Jakobus senkte das brennende Holzscheit. Keine Ratten. Sogar die Aasfresser mieden diesen abscheulichen Ort.
Walburga war in einem entsetzlichen Zustand. Verdreckt, abgemagert und frierend warf sie sich vor Jakobus auf die Knie. Sie konnte kaum die Augen öffnen, weil die Flamme der Fackel und Jakobus` Hand sie blendete.
„Bitte hilf mir! Ich sterbe!“
Jakobus zog ein wenig Brot und Käse aus dem Ärmel seines Gewandes hervor. Gierig verschlang sie beides, während Jakobus zum ersten Mal in seinem Leben Mühe hatte, einen Menschen zu berühren. Er schämte sich vor sich selbst. Andere Geistliche gingen im festen Glauben an Gott sogar zu den Aussätzigen und Pestkranken und er ekelte sich vor einer Gefangenen, die gezwungen war, in ihrem eigenen Schmutz dahin zu vegetieren. Er sprach ein leises Gebet und legte die Hand auf ihre Stirn.
„Walburga …“, begann er, „… hast du getan, was man dir zur Last legt? Hast du wirklich das Wilde Heer und den Dämon herbeigerufen?“
„Nein!“, rief sie voller Entsetzen mit krächzender Stimme. „Ich bin unschuldig! Franziska ist an allem schuld. Foltert sie! Dann wird sie es gestehen. Fangt sie und sperrt sie ein! Ich bin unschuldig. Der Dämon hat sie nicht getötet. Er hat nur den Engel getötet, weil sie es wollte. Ich habe nichts Falsches getan. Sie will, dass ich sterbe!“
„Beruhige dich!“
Walburga atmete schwer. Drei Tage und Nächte hatte sie in diesem stinkenden Loch darüber nachgedacht, was sie sagen sollte, wenn man sie holen würde. Die ganze Zeit hatte sie auf das Wilde Heer und Balam gewartet. Zu Beginn war sie sogar fest davon überzeugt gewesen, dass man sie retten und aus Waldenfels wegbringen würde. Doch mit jeder Stunde
Weitere Kostenlose Bücher