Engel der Finsternis (German Edition)
schwand die Hoffnung. Schließlich erkannte sie, dass niemand kommen würde. Da hatte sie mit dem Gedanken gespielt, die Wahrheit zu sagen. Doch Hieronymus würde sie nicht verstehen. Der Kaplan würde sie sofort ersäufen lassen, wenn sie zugab, was sie getan hatte. Also wollte sie alles leugnen. Und genau das tat sie nun, als der Dorfpfarrer vor ihr stand. Walburga hatte sich alles zurechtgelegt, was sie als Beweis ihrer Unschuld vorbringen wollte. Aber in diesem Augenblick sprudelten die Worte einfach nur so aus ihr heraus.
„Franziska hat das Wilde Heer gerufen! Sperrt sie ein!“
Jakobus trat angewidert einen Schritt zurück. Er kannte Walburga und wusste um ihren Hass auf Franzi. Der Pfarrer hätte wissen müssen, dass sie versuchen würde, die Schuld auf sie abzuwälzen. Das, was Heidrun gesagt hatte, hätte ihn misstrauisch machen sollen. Womöglich hatten sich die beiden sogar abgesprochen. Jakobus konnte und wollte nicht mehr mit Walburga reden. Er war gekommen, um sie zu einem Geständnis zu bewegen. Jetzt musste er erkennen, es war sinnlos. Er segnete sie und verließ den Kerker und die laut aufheulende Gefangene. Rasch schlug der Soldat die Tür hinter ihm zu und Jakobus verließ mit gemischten Gefühlen den Wehrturm.
Es fiel ihm schwer, mit leeren Händen ins Dorf zurückzukehren. Mechthild machte sich große Sorgen um ihre Freundin. Seit Heidrun in aller Öffentlichkeit behauptet hatte, Franzi und nicht Walburga hätte das Wilde Heer gerufen, mehrten sich die Stimmen im Dorf, die meinten, es könnte womöglich die Wahrheit sein. Die Bauern wunderten sich darüber, warum Konrad keine Entscheidung treffen wollte, und sahen darin einen Beweis für Franzis Schuld. Wieso sonst sollte er zögern? Wenn Walburgas Schuld bewiesen wäre, hätte er sie doch längst töten lassen? Also musste es Zweifel geben.
Die Knechte und Mägde in der Burg spitzten die Ohren, sobald sie in die Nähe von Konrad oder Hieronymus kamen. Man horchte jeden aus, der vielleicht etwas wissen könnte - ohne Erfolg. Die Herren auf Burg Waldenfels bewahrten ihr Wissen für sich. Man wusste nur, es hatte erneut Streit zwischen Hieronymus und Konrad gegeben. Anlass war wieder einmal die Lüsternheit des Grafen gewesen.
Schon einen Tag nach Franzis Verschwinden und nur wenige Stunden nach der Inhaftierung von Walburga hatte er sich eine Magd ins Bett geholt. Aber nicht allein das hatte den Kaplan erzürnt. Der Grund, warum er den Grafen angeschrien hatte, war dessen Tobsuchtsanfall gewesen. Konrad hatte die Magd noch in seinem Bett verprügelt. Weinend hatte sie dem Kaplan in der Beichte den Grund dafür genannt. Konrad litt wieder an jener Schwäche, die seinen Stolz so sehr verletzte und die er nach der letzten Begegnung mit Walburga überwunden zu haben glaubte. Unverrichteter Dinge hatte er von der Magd abgelassen und sie erbarmungslos geprügelt, nachdem er zuvor schon ihren Körper aufs Schändlichste missbraucht hatte. Das Mädchen war eine junge verheiratete Mutter aus dem Dorf, das sich nur aus Angst um ihre Familie mit dem Grafen einließ.
Hieronymus war empört. Den Grafen interessierte es nicht. Ihm ging etwas anderes durch den Sinn. Jemand hatte ihn mit einem Fluch belegt und ihm seine Manneskraft geraubt. Das wusste er jetzt. Die Frage war nur, ob Walburga sie ihm geraubt oder wieder gegeben hatte. War sie seine Wohltäterin oder eine Schwarzkünstlerin? Hatte Franzi ihn geschwächt? War Walburga ihrer Schwester auf die Schliche gekommen? Wollte sie ihm tatsächlich nur helfen?
Der Graf wusste es nicht. Ihm schwirrte der Kopf. Nicht nur wegen der vielen unbeantworteten Fragen, sondern auch wegen des Biers, das er inzwischen im Übermaß genoss. Schon am frühen Morgen hörte man ihn nach Bier schreien. Zur Mittagsstunde schwankte er durch den Burghof, und abends atmeten die Mägde auf, weil er zu betrunken war, um sich einer von ihnen zu bemächtigen.
Der Soldat vor dem Verlies war einmal mitten in der Nacht vom Grafen überrascht worden, der wie ein Gespenst vor der Wache aufgetaucht war und stumm vor der Kerkertür gestanden hatte. Minutenlang hatte Konrad die Tür angestarrt. Dann war er wieder gegangen. Der Soldat hatte sich vor Angst beinahe in die Hosen gemacht, weil er glaubte, keinen richtigen Menschen vor sich zu haben. Doch am nächsten Morgen bestätigten ihm die Pagen, es sei tatsächlich der Graf gewesen. Trotzdem fühlte sich der Soldat seit dieser Begegnung nicht mehr wohl auf seinem Posten.
Agreas
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