Engel der Kindheit
ungewöhnliche, durchdachte und ausgereifte Schiff.
„Wann kommt der Papi einmal, dass ich ihn auch mal sehen kann?“ Treuherzig legte sich ihr süßes Engelsgesicht auf Lenas Schulter. Insgeheim wartete sie jeden Abend auf ihren Papi. Sooft träumte sie davon, dass er sie auf einem riesengroßen Windjammer besuchen kam.
„Ich glaube nicht, dass der Papi kommen kann! Australien ist sooooo weit fort! Als er gegangen ist, hat er über ein halbes Jahr gebraucht, bis er in Australien angekommen ist! Früher, als ich so klein war wie du, hat der Papi hier gewohnt, wo wir jetzt wohnen!“ Schwungvoll setzte Lena ihre große Tochter auf den sicherstehenden Barhocker, ging in die Küche und bereitete das Mittagessen zu. Für Babs würde sie ein kleines Schnitzel heraus braten, sie selbst würde nur Nudeln und Gemüse essen.
22. Kapitel
Zum dritten Mal las Nils den großen Artikel in der Lokalzeitung. Von allen Seiten war sein erstes Schiff, das er in Eigenkonstruktion erbaut hatte, gelobt worden. Furore hatte es gemacht, die Wellen waren über den ganzen Globus geschwappt. Mächtig stolz war er auf sich!
„Nils, ich möchte dich sprechen!“ Ohne anzuklopfen öffnete Samuel Rodney die Türe zu Nils Büro. „Komm in mein Büro!“, rief er befehlend. So schnell er die Türe geöffnet hatte, so schnell war sein Schwiegervater wieder verschwunden.
Alle Unterredungen zwischen ihnen fanden in Samuels Büro statt. Dort saß er dann hinter seinem breiten Schreibtisch, während Nils in dem Besucherstuhl Platz zu nehmen hatte.
Widerwillig folgte Nils Samuels barscher Aufforderung.
„Was möchtest du von mir?“ Zögernd legte Nils die Hände auf die Armlehnen des Stuhles und setzte sich langsam.
„Ich werde dich in den Vorstand holen! Ab heute! Du hast `Rodneys Sea Side´ großes Ansehen gebracht, du sollst mein Stellvertreter werden, auch wenn du nur zum Schein mit meiner Tochter verheiratet bist! Sie wird die Firma nie übernehmen, der kleine Samuel ist noch zu klein, also wirst du dich in die Firma einarbeiten, dass du sie selbstständig leiten können wirst!“ Hintergründig grinste Samuel ihn an, sein Adlergesicht verzog sich dabei zu einer widerlichen Fratze.
„Was bedeutet das für mich?“ Kritisch war Nils auf der Hut, er wusste, dass Samuel nichts ohne Grund veranlasste.
„Das bedeutet, dass du dich vorrangig um die reibungslose Abwicklung der Firma kümmern wirst. Du wirst deinen Angestellten die Konstruktionen anweisen, wirst überwachen, was sie für dich zeichnen, aber du wirst dich genauso um die Werft und die Reederei kümmern. Du wirst ein angesehener Geschäftsmann und Manager werden! Wir müssen expandieren, uns erweitern, ausbauen, dafür wirst du sorgen!“ Herrisch legte Samuels kurzer Finger sich an seine gebogene Hakennase, seinen Adleraugen entging Nils ablehnende Reaktion nicht.
„Und wenn ich Nein sage?“ Scharf beobachtete Nils seinen Schwiegervater.
„Du kannst nicht Nein sagen! Ich kann es dir auch befehlen! Vergiss nie, wem du das hier alles zu verdanken hast! Außerdem wirst du an den kommenden Wochenenden endlich dein großes Kapitänspatent abschließen! Es gibt keinen leitenden Mitarbeiter bei `Rodneys Sea Side´, der nicht in der Lage ist, unsere eigenen Schiffe zu steuern!“ Abschließend erhob er sich. Eindeutig war das Gespräch für ihn beendet.
Nils reichte ihm nicht die Hand, er verließ das Büro und kochte vor unterdrückter Wut. Wie immer ließ Samuel ihn tanzen, wie eine Marionette an den Fäden. Warum er ihn ausgerechnet heute, nachdem seine erste Konstruktion ein solcher Erfolg gewesen war, der durch die Presse des Landes gegangen war, in den Vorstand beförderte verstand er nicht. `Rodneys Sea Side´ war in aller Munde, was nützte er Samuel in der Geschäftsabteilung? Außerdem wollte er Schiffe konstruieren und nicht Aktenberge wälzen. Zwischenzeitlich waren sie ein eingespieltes Team geworden. Mathew und er ergänzten sich in ihren Ideen, Henry erstellte ihre Ausgaben, sorgte dafür, dass sie genügend Gelder zur Verfügung hatten, James und Sven waren für die reibungslose Ausführung ihrer Arbeiten verantwortlich. Mit seinem Team übernahm James, Alisons Vater, den Rohbau, während Sven und seine Leute sich um den Innenausbau kümmerten. Alison, die ihren Traum verwirklicht hatte und Schiffsbau studierte, kam jeden Nachmittag und sah ihnen über die Schultern.
Voller Wucht knallte Nils die Türe zu seinem Büro zu.
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