Engel der Kindheit
fuhr das majestätische Schiff im Auftrag eines reichen Reeders, der sein neuestes Wissen in diesem Schiff verwirklicht hatte und nun auf die Ergebnisse und Auswertungen gespannt war, die stündlich in ein spezielles Logbuch eingetragen werden musste. An Bord wurde ausschließlich englisch gesprochen. Widerspruchslos nahm Nils die Befehle auf, die ihm erteilt wurden und führte sie augenblicklich gewissenhaft aus.
Bewegt spürte er die Kraft des Schiffes, das mit vier Segeln im Wind stand, unter sich. Wankend schaukelten die Schiffsplanken unter seinen Füßen, die diese Bewegungen nicht gewohnt waren. Niemals war er bisher auf einem solchen Schiff von dieser Größe gefahren. Bisher hatte er nur die Schiffsteile ausgebessert, die das Meerwasser zu sehr strapaziert hatte. Alle für ihn wichtigen Dinge seines Lebens hatten in dem aus Segeltuch genähten Sack Platz gefunden, außer Lena, die seinem Leben die Liebe gegeben hatte.
Ohne Pause wurden sie angetrieben, die zu verrichtenden Arbeiten auszuführen. Er wurde dazu eingeteilt in der Kombüse Kartoffeln für die ganze Mannschaft, die aus dreißig Besatzungsmitgliedern bestand, zu schälen. Auf einem schmalen Hocker saß er, den Eimer für die abgeschälten Schalen zwischen den Beinen und nahm eine Kartoffel nach der anderen aus dem großen Bottich der vor ihm stand.
John, ein älterer Matrose, der aus England stammte, saß neben ihm, mit der gleichen Tätigkeit beschäftigt.
„Warum möchtest du nach Australien?“ Interessiert sah er den Neuen an, dessen krumme Nase darauf schließen ließ, dass er Schlägereien nicht aus dem Weg ging.
„Ich habe meine Schule abgeschlossen und wollte schon immer auf einem Segelschiff in die Welt hinaus. Und du?“ Abschätzend blickte Nils sein Gegenüber an, dessen Gesicht braungebrannt und wettergegerbt, mit einer über der linken Wange verlaufenden Narbe, typisch für einen Seemann war. Tätowierungen auf seinen muskulösen Armen, und schwere Halsketten um seinen Stiernacken, ließen Nils vermuten, dass er schon längere Zeit auf See war.
„Ich bin mit vierzehn abgehauen, hatte die Schnauze voll von Zuhause, ständig nur Zoff und Ärger, da habe ich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit meine Sachen gepackt und bin auf einem Containerschiff nach Indien geschippert. Wenn du einmal auf See warst, möchtest du nie wieder von Bord, das garantiere ich dir!“ Einen kurzen Augenblick überlegte er. „War ´ne nette Braut, die du da im Arm hattest!“
„Ja! Leider konnte ich sie nicht mitnehmen, aber ich werde sie nachholen, wenn ich in Australien Fuß gefasst habe!“ Verschämt blickte er zu Boden, damit der raue Kerl nicht die Gefühle sah, die bei dem Gedanken an Lena in seinen Augen leuchteten. Niemals zuvor hatte er etwas Schöneres erlebt, als die Nacht, die sie gemeinsam verbracht hatten.
„Pah! Dass ich nicht lache, da wärst du der Erste, der seine Braut zu sich holt, wirst schon sehen, in jedem Hafen warten hundert bildschöner Frauen auf dich. Nach einer Woche denkst du nicht mehr an sie, weil du dir das Hirn aus der Hose gevögelt hast!“ Laut klatschte er sich bei seinem Witz auf die festen Schenkel.
„Wer ist der Kapitän?“ Versuchte Nils das Thema zu wechseln, denn er wollte nicht, dass seine Gefühle durch den Kakao gezogen wurde.
„Käpt’n Rodney, ein ausgewanderter Engländer, der seit zwanzig Jahren unter der australischen Flagge bisher jedes Schiff sicher zurück in den Heimathafen geschippert hat. Er ist der Bruder des Reeders, in dessen Auftrag das Schiff unterwegs ist, um neue Materialien zu testen. Ich habe davon keine Ahnung, aber in jedem Hafen werden sämtliche Segel und Masten genauestens kontrolliert. Von einem Hafen zum anderen werden Güter verladen, die zu wertvoll, oder zu geheim sind, um sie mit den Containerschiffen zu transportieren.“ Geheimnisvoll hatte er die Stimme gesenkt.
„Los, los, los, plappert nicht so viel, ich brauche die Kartoffeln in einer Stunde, sonst könnt ihr sie roh essen!“ Ein kleiner Mann in weißen Hosen und weißem T-Shirt streckte den Kopf aus der Kombüse.
„Das war Smutje, unser Schiffskoch, der in Wirklichkeit Henry heißt, aber von niemandem so genannt wird. Kartoffeln kann er wirklich kochen, jeden Tag, ob es regnet, stürmt oder schneit, bis sie uns zu den Ohren rauskommen. Alles andere was er kocht, kannst du getrost den Haien zum Fraß vorsetzen, sie rühren es nicht an!“ Wieder schlug John sich auf den muskulösen Schenkel und
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