Engel der Kindheit
entsetzt über diese Äußerung, auf die Beine.
„Nie! Mami, niemals in meinem Leben, würde ich ein unschuldiges Lebewesen abtöten, nur weil ich... weil ich... nicht aufgepasst habe! Ich werde das Baby bekommen und ich werde für es sorgen und wenn ich nicht studieren werde! Aber ganz bestimmt werde ich es nicht töten! So gut solltest du mich kennen!“ Anklagend und weitaufgerissen standen ihre dunklen Augen in ihrem Gesicht.
„Lena! Überlege dir, was du sagst! Es ist für dich nicht die Zeit, ein Kind zu bekommen!“ Streng fuhr ihre Mutter Lena an.
„Sei jetzt bitte leise! Es ist immer die Zeit, ein Baby zu bekommen, wenn man nichts dagegen unternommen hat! Ich will nichts mehr davon hören, hast du mich verstanden?“ Wütend marschierte Lena aus dem Badezimmer und warf die Türe ins Schloss. Schnurstracks eilte sie zu ihrem Zimmer und warf sich auf das Bett. Aber sie konnte nicht weinen! Sie war glücklich! In ihrer Liebesnacht hatten sie ein neues Lebewesen gezeugt! Ein Teil von Nils und ihr! Nun würde sie ihn nicht vollkommen verlieren!
Strahlend, wie seit Wochen nicht mehr, trat sie einige Zeit später zu ihren Eltern, die in einer heißen Diskussion verstrickt waren.
Vehement verteidigte ihr Vater den Standpunkt seiner Tochter, während ihre Mutter darauf bestand, dass Lena das Kind abtreiben lassen sollte.
„Wenn ihr fertig seid, möchte ich auch meine Meinung dazu sagen, da mich niemand zu irgendetwas zwingen kann! Ich werde das Baby bekommen und ich bin glücklich!“ Erleichtert fiel sie ihrem Vater um den Hals, der sie auf seinen Schoß zog und sie beruhigend wiegte, wie er es getan hatte, als sie noch ein kleines Kind gewesen war.
Wütend verließ ihre Mutter die Essküche und packte zornig die Kleider in die Koffer.
Nachdem Lena ihren Koffer gerichtet hatte, eilte sie zur Seehundstation und verabschiedete sich von allen Angestellten und von Krischan. Die Zeit reichte ihr nicht, sich noch einmal um die Heuler zu kümmern, denn die Fähre würde pünktlich ablegen.
„Nanu, deine Augen strahlen ja plötzlich wieder!“ Verliebt machte Krischans Herz einen Sprung, als er in das glückliche Gesicht sah.
„Ja!... Bis nächstes Jahr!“ Schmatzend drückte Lena ihm einen Kuss auf die weiche Wange und sprang über den steinigen Weg zu dem Auto ihrer Eltern. Mürrisch saß ihre Mutter auf dem Beifahrersitz, während ihr Vater Lenas ausgelassene Bewegungen verfolgte.
Rau blies der kalte Westwind über die schützenden Dünen, das dürre, hohe Dünengras bog sich unter seinen Wehen, die den ungeschützten Sand vor sich hertrieben.
Trotz angekündigter Sturmwarnung fuhr die Fähre über die aufgepeitschte Nordsee.
Lena, deren empfindlicher Magen dem Sturm nicht gewachsen war, übergab sich mehrere Male. Teilnahmslos stand ihre Mutter an der Reling und versuchte die würgende Laute ihrer Tochter zu überhören, während ihr Vater beruhigend auf sie einredete.
Am Nachmittag kamen sie in Hamburg an. Ermattet legte Lena sich auf ihr Bett, ihren Koffer würde sie später ausräumen.
Beinahe augenblicklich fielen ihr die Augen zu.
Gegen Abend erwachte sie und lief in das Wohnzimmer, in dem ihre Eltern sich aufhielten.
Energiegeladen stand die Luft unter Strom, das spürte Lena sofort, als sie eintrat. Aufgebracht saß ihr Vater an der rechten äußeren Seite der gebogenen Ledercouch, ihre Mutter an der linken. Beide waren hochrot im Gesicht und über die Wangen ihrer Mutter liefen Tränen.
„Wenn es hier um mich geht, möchte ich euch sagen, dass ihr euch jeglichen Streit schenken könnt! Ich bestimme über meinen Körper und für mich kann es keine andere Entscheidung geben!“ Selbstsicher sah sie ihrer Mutter fest in die Augen.
„Wie möchtest du dein Abitur machen? Wie möchtest du studieren oder einen Beruf erlernen? Möchtest du nie einen Mann kennen lernen, der nicht sein ganzes Leben lang misshandelt wurde? Einen Mann, der dir ein geregeltes Familienleben bieten kann, keiner, der vielleicht seine eigenen Kinder schlägt, wie er geschlagen wurde! Einen Mann, der vor nichts wegzurennen braucht, weil seine Kindheit normal verlaufen ist und der daher in der Lage ist, dich zu lieben und nicht nur den Engel in dir, der ihn gerettet hat!“ Außer sich vor Zorn schrie ihre Mutter Lena die Worte ins Gesicht.
„Sei sofort still, Mama, ehe du etwas zerbrichst, das nie wieder repariert werden kann! Ich glaube, du kennst weder Nils, noch mich!“ Leise flüsterte Lena die Worte, stumm
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