Engel der Kindheit
verursachte Leid in den Augen des Älteren.
„Ja!“ In Nils tobte eine Wut, der er nur schwer Herr werden konnte. Mühsam versuchte er seinen erregten Atem zu kontrollieren, verzweifelt suchten seine Hände nach etwas, an dem er sich festklammern konnte, um nicht die Beherrschung über sich zu verlieren. In seiner unmittelbaren Nähe griff er nach einem Schiffstau, das auf dem Boden lag und das er zwischen seinen Händen wrang.
„Komm in mein Büro, wir müssen reden!“ Mit gesenktem Kopf schritt James vor ihm über die Treppe in das im ersten Stock liegende, kleine Zeichenbüro und schloss die Türe.
„Es war nicht das erste Mal, dass eine Konstruktion von Samuel Rodney Menschen in den Tod gerissen hat.“ Sichtlich schwer fiel ihm dieses Bekenntnis. „Vor ungefähr zehn Jahren starben wegen seiner waghalsigen Ausführung zehn junge Leute, die das Segelschiff angemietet hatten. Sie wollten einfach so zum Spaß über den Pazifik schippern, sind damals nur bis vor unsere Küste gekommen. Ich habe Samuel Rodney beim Bau der Jacht auf einen Konstruktionsfehler aufmerksam gemacht. Er drohte mir, mich zu entlassen, falls ich nicht ohne Kommentar das ausführen würde, was er entworfen hatte. Meine Tochter war damals gerade acht, mein Junge zwölf. Ich konnte nicht riskieren, meinen Job zu verlieren. Seither habe ich mir nie wieder die Mühe gemacht, seine Konstruktionen nachzuarbeiten. Ich habe das bauen lassen, was er von mir verlangte. Er ist ein herzloses Monster. Nicht einmal bei der Trauerfeier der jungen Leute hatte er sich sehen lassen. Kein weiteres Wort war je darüber gesprochen worden! Seine Tochter ist genauso geraten wie er. Für beide gibt es die Worte Mitgefühl, Herzlichkeit, Nachsicht oder Einsicht nicht!“ Matt sahen seine Augen Nils an. „Nils, werde nie so feige, wie ich es geworden bin! Kämpfe weiter für die Gerechtigkeit! Aus dir wird etwas werden, das spüre ich genau! Du wirst einmal dein eigenes Unternehmen leiten und deine Mitarbeiter werden Achtung für dich empfinden!“
Verlegen drehte James sich um und stand gebeugt, die Hände auf dem Rücken verschränkt und blickte über die Konstruktionshalle. Aus seinem Glaskäfig sah er, wie seine Tochter an der Schulter von dem jungen Sven in Tränen ausgebrochen war. Tröstend strich ihr der junge Mann über ihre blonde Lockenpracht, hob ihr Gesicht und küsste sie leicht auf die Lippen.
Sein Mädchen! Achtzehn Jahre war sie! Seit langem hatte er vermutet, dass es einen wichtigen Grund für sie gab, weshalb sie jeden Nachmittag in der Halle verbrachte. Egal an welchem Ende der junge Sven arbeitete, sie saß so, dass sie ihn sehen konnte. Heute beim Mittagessen hatte sie seiner Frau und ihm erklärt, dass sie Sven liebte und er ihre Gefühle erwiderte. Klipp und klar hatte sie ihnen in ihrer selbstbewussten Art gesagt, dass sie vorhatte, die Nächte oftmals bei ihm zu verbringen. Man konnte ihr in diesem Alter diesen Wunsch wohl nicht mehr verwehren, sie war alt genug, um zu wissen, was richtig für sie war. Sein kleines Mädchen war flügge geworden und hatte sich einen Mann ausgesucht, den er selbst achtete und respektierte. Seit einem Jahr kannte er ihn und niemals war eine Arbeit von ihm nicht bis ins letzte Detail zu seiner Zufriedenheit ausgeführt worden. Ohne Unterbrechung schuftete er, übernahm sogar die Wochenendschichten, an denen er selbst frei hatte und arbeitete sorgfältig und gewissenhaft. Nie war er betrunken, wie manch andere seiner Arbeiter und stets war er ihm überlegt und ehrlich erschienen. Offen hatte Alison ihnen gestanden, dass Sven es zur Bedingung gemacht hatte, dass sie zuerst mit ihren Eltern reden müsste, bevor er sich auf eine Beziehung zu ihr einlassen würde. Diese weise Überlegung zollte seinen ganzen Respekt. Ob er in der Hitze der Leidenschaft früher dazu in der Lage gewesen wäre, eine solche Entscheidung zu treffen, wusste er nicht.
„James, es darf nicht noch ein weiteres Mal vorkommen, dass eine fehlerhafte Konstruktion, die in unserer Werft gebaut wurde, vom Stapel läuft. Diesmal werde ich nicht die Polizei verständigen, aber noch einmal werde ich die Augen nicht verschließen. Die Öffentlichkeit würde ihn zerreißen, wenn sie davon Wind bekommen würde. Wir könnten ihn ruinieren! In Zukunft werden wir stillschweigend die Änderungen vornehmen, die wir für erforderlich halten. Samuel Rodney wird davon nichts bemerken und wenn, wird es zu spät sein, um seinen waghalsigen Entwurf
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