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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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von dem Gespräch mitbekommen hatte, stand
in den Sternen, genauso wie die Antwort auf die Frage, wer, wenn nicht sie, für
den Tod von Egberta Tuchscherer verantwortlich war.
    Um besser sehen zu können, machte Bruder Hilpert
einen behutsamen Schritt nach vorne, die Laterne in der Hand, welche ihm der Kerkermeister
vor seinem Weggang in die Hand gedrückt hatte. Genau das hätte er besser bleiben
lassen sollen, wie die nun folgende Reaktion bewies. »Was, du schon wieder?«, stieß
die Alte hervor und wich bis in den äußersten Winkel der Zelle zurück. Dort ließ
sie sich auf einen Strohhaufen sinken, direkt neben eine Ratte, die laut quiekend
von dannen stob. »Bringst schlechte Kunde, hab ich recht?«
    Bruder Hilpert erschauderte. In seiner Eigenschaft
als Visitator hatte er Dinge gesehen, von denen er geglaubt hatte, er habe sie aus
seinem Gedächtnis gestrichen. Im Angesicht der verhärmten, am ganzen Leibe zitternden
und wie ein verängstigtes Tier in der Ecke kauernden Amme holte ihn die Vergangenheit
jedoch wieder ein. Darauf war er nicht gefasst und tat sich schwer, ihr ins Auge
zu sehen. Verhöre, hochnotpeinliche Befragungen, Visitationen, Tribunale, die heilige
Inquisition – all das war einmal Teil seines Alltags gewesen. Eines Weges, der ihn
an die Kurie in Rom, die Pariser Sorbonne und in die berühmtesten Klöster des Abendlandes
geführt hatte, wo er mit den Großen der Zeit zusammengetroffen war. Und wozu? Weil
ihm sein Ehrgeiz keine Ruhe gelassen und er sich nicht damit zufriedengegeben hatte,
nur ein Bibliothekarius unter vielen zu sein. Deshalb, nur deshalb war er hier.
Um der Reputation willen, um den Ruf, den er genoss, in alle Lande dringen zu lassen.
Um sich über andere, allen voran seine Mitbrüder, zu erheben. Um so hoch zu steigen,
dass sein Fall dereinst umso tiefer sein würde.
    Wie vor den Kopf geschlagen, wich Bruder Hilpert
zurück. Es war an der Zeit, in Ruhe über alles nachzudenken, abzuwägen, einen Neuanfang
zu wagen. Oder am Ende gar einen Schlussstrich unter sein Detektivleben zu ziehen.
Wieso hatte er sich überreden lassen, diesen Fall zu übernehmen? Reichten vier Fälle,
durch die er zu Ruhm und Ansehen gelangt war, etwa nicht aus? War der Ehrgeiz, den
er verspürt hatte, zu seinem alleinigen Lebenszweck geworden?
    »Nehmt mich mit, um der Liebe Christi willen.«
Beinahe schon an der Tür, blieb Bruder Hilpert abrupt stehen. Sein Atem beschleunigte
sich, und ihm wäre ein Stein vom Herzen gefallen, wenn er die Ereignisse der letzten
Stunden hätte ungeschehen machen können.
    Ein Blick auf die alte Frau, deren Hände sich
ihm entgegenreckten, und ihm wurde klar, dass dies bloßes Wunschdenken war. Was
zählte, war, Irmtrauds Leben zu retten, jetzt und hier, beinahe um jeden Preis.
Selbst auf die Gefahr, dass er sich erneut untreu werden würde.
    »Gevatter Tod, endlich!«
    »Grämt Euch nicht, gute Frau. Euch wird kein
Leid geschehen.« Angesichts des Damoklesschwertes, das über der Eingekerkerten schwebte,
klangen seine Worte wie blanker Hohn. Da es jedoch galt, das Vertrauen der Alten
zu gewinnen, war Hilpert gezwungen, ihre Lage zu beschönigen. »Nicht, solange ich
in Eurer Nähe bin.«
    »Warum so zögerlich, Gevatter?« Irmtrud Fuchslechner
breitete die Arme aus und strahlte ihn an. »Reicht das, was sie mir angetan haben,
etwa noch nicht aus?«
    »Doch.«
    »Na also. Was zögert Ihr noch?«
    »Ich bin gekommen, um Euch beizustehen. Vertraut
mir, Rettung ist nicht mehr fern.«
    Schon wieder eine Lüge, nicht die erste und
vermutlich auch nicht die letzte am heutigen Tag.
    »Tretet näher, Gevatter, damit ich Euch besser
sehen kann.«
    Bruder Hilpert gehorchte. Die Frage lautete,
ob die Alte bei klarem Verstand war, oder ob sich ihre Sinne bereits so sehr verwirrt
hatten, dass seine Bemühungen von vornherein zum Scheitern verurteilt sein würden.
Der Bibliothekarius seufzte aus tiefster Seele. Wie die Dinge lagen, war anscheinend
Letzteres der Fall, mit dem Ergebnis, dass es nahezu unmöglich sein würde, ein vernünftiges
Wort mit der Gefangenen zu wechseln. Hinzu kam, dass die alte Irmtrud bereits ein
Geständnis abgelegt hatte. Ein Umstand, der sein Bestreben, die gegen sie erhobenen
Vorwürfe zu entkräften, wie eine Sisyphusaufgabe erscheinen ließ.
    Nur noch eine Armlänge von der Alten entfernt,
beugte Bruder Hilpert das Knie und stellte die Laterne auf dem Boden ab. Aus nächster
Nähe sah sie umso mitleiderregender aus, und obwohl ihm der Beweis fehlte,

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