Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
teiggesichtigen Ratsherren heran. »Weil es nichts genützt
hätte, Meister Creglinger. Darum.«
»Bei aller Wertschätzung – woher wollt Ihr das
so genau wissen?«
Ein Disput mit einem Laien, das hatte ihr gerade
noch gefehlt. Kurz davor, aus der Haut zu fahren, schluckte die Baderstochter ihren
Ärger hinunter und beschloss, die Frage zu ignorieren. »Wie dem auch sei, ich denke,
wir haben unser Möglichstes getan.«
»Ach, ja?«
»Bei aller … bei allem Respekt vor Eurem Amt,
Herr Rat – darf man fragen, ob Ihr auch nur einen Patienten kennt, der vom ignis
sacer [67] kuriert worden wäre?«
»Ignis …«
»Ignis sacer, Spitalmeister, in deutschen Landen
auch Antoniusfeuer, oder, falls Euch der Terminus nicht behagt, schlicht und ergreifend
Mutterkornbrand genannt. Ausgelöst durch den Verzehr von Mutterkorn, der, wie wir
alle wissen, insbesondere den Roggen befällt. Vorzugsweise in Notzeiten, wäre noch
hinzuzufügen, wodurch große Mengen des Mutterkornpilzes ins frische Mehl und von
dort aus in unser täglich Brot gelangen.«
»Ja, wenn das so ist, müssen wir diesen Jobst
schleunigst …«
»Ins Leprosenhaus Sankt Leonhard transportieren,
meint Ihr?« Melusine holte tief Luft. »Ich denke, das wird nicht nötig sein.«
»Und warum nicht?«
»Weil, wie hinlänglich bekannt, Sankt Leonhard
den Leprakranken vorbehalten ist«, antwortete Melusine und ergänzte im Stillen:
Als Ratsherr sollte man das eigentlich wissen! Einfach unfassbar, wie ein Mann,
der über Dutzende von Knechte, Mägde, Köche, Schafhirten und über ein Heer von Helfern
gebot, einen derartigen Unfug daherreden konnte. »Das heißt, den hoffnungslosen
Fällen.«
»Damit Ihr Bescheid wisst, Jungfer«, ereiferte
sich der Ratsherr, erfreut, endlich ein Haar in der Suppe gefunden zu haben, »dafür
werde ich nicht die Verantwortung übernehmen.«
»Braucht Ihr auch nicht, Meister Creglinger«,
erwiderte Melusine und hantierte an der Schleife herum, mit der sie ihr rotblondes
Haar zusammengebunden hatte. »Und wisst Ihr auch, warum?«
»Nein.«
»Weil die Krankheit nicht ansteckend ist.«
»Nicht ansteckend?« Peter Creglinger, ein Mann
der großen Worte, welcher dazu neigte, seine dürftige Bildung durch Imponiergehabe
zu kaschieren, starrte Melusine entgeistert an. »Das meint Ihr doch wohl nicht ernst.«
»Doch.«
»Alles, was recht ist, Jungfer Aschenbrenner
– so einfach, wie Ihr Euch das denkt, ist die Sache nicht!«, warf sich der Spitalmeister
in die Brust, zog es dann aber in Ermangelung eines Gegenargumentes vor, vom Thema
abzulenken. »Apropos ›einfach‹ – was habt Ihr ihm eigentlich in seinen Kräutersud
gemischt?«
»Schlafmohn.«
»Überaus heikel, findet Ihr nicht auch?«
»Bei geringer Dosierung, Spitalmeister, ist
die Gefahr, dass der Patient Schaden nimmt, äußerst gering. Wie pflegte Plinius
doch zu bemerken: ›Der Milchsaft, in der Größe einer Linsenwicke eingenommen, beschwichtigt
Schmerzen, bringt Schlaf, befördert die Verdauung.‹ Und darauf kommt es doch wohl
an, oder? Wenn es hochkommt, hat Jobst noch ein paar Stunden zu leben. Wenigstens
die sollte man ihm so angenehm wie möglich machen, findet Ihr nicht?«
»Wenn Ihr meint.« Kleinlauter geworden, gab
sich Creglinger trotzdem nicht geschlagen. »Wie kommt es eigentlich, dass Ihr so
gut im Bilde seid? Ich meine, irgendwoher müsst Ihr Euer Wissen doch haben.« Der
Tonfall des Wollhändlers triefte vor Häme. »Bücher allein reichen ja wohl nicht
aus, oder?«
»Keinesfalls.«
»Und das Wissen um die Anatomie des menschlichen
Körpers, welches Ihr Eurem Vater zu verdanken habt, vermutlich auch nicht.«
»Irre ich mich, Spitalmeister – oder habt Ihr
seine Hilfe nicht schon des Öfteren in Anspruch genommen?« Ohne sich den Zorn, der
sie packte, anmerken zu lassen, ließ Melusine den Blick durch den mit insgesamt
16 Betten hoffnungslos überfüllten Saal schweifen. Eher zufällig fiel ihr Blick
dabei auf Gerlinde, eine jener Gehilfinnen, auf die sie ständig ein Auge haben musste.
Im vorliegenden Fall war dies auch gut so, denn sie war gerade dabei, einen Aderlass
durchzuführen. Und genau das hatte sie ihr strengstens untersagt. »Hab ich dir nicht
gesagt, du sollst auf mich warten?«, fuhr sie die Spitalhelferin an, die so erschrocken
war, dass ihr das Messer aus der Hand fiel. »Und wenn etwas schiefgeht, was dann?«
»Schiefgehen?«, echote Creglinger, für den der
Zornesausbruch ein gefundenes Fressen war. »Was kann denn schon
Weitere Kostenlose Bücher