Engel der Schatten - 01 - Astrid Martini
Augen, legte seinen Kopf in den Nacken und begann zu wittern – wie ein Raubtier.
Den fassungslosen Blick der jungen Frau vor ihm ignorierte er, nickte ihr noch einmal zu und nahm erneut die Witterung auf.
Er war sich sicher, dass er noch heute die Frau finden würde, die er suchte …
***
Cecile Foster kam aus dem oberen Stockwerk die Treppe herunter und gähnte herzhaft. Sie hatte einen anstrengenden Tag auf der Intensivstation hinter sich und sehnte sich nach ihrem Bett.
Die Krankensäle waren auf allen Stationen voll belegt und auch die Intensivstation
quoll förmlich über.
Sie hatte an diesem Abend zusammen mit einer anderen Schwester drei Stunden gebraucht, um die Kranken für die Nacht zu versorgen. Sie machte noch einmal einen
Rundgang, um zu sehen, ob auch wirklich alles in Ordnung war und zog sich nun müde und seufzend ins Schwesternzimmer zurück, denn die Krankenberichte für die Übergabe an die Nachtschwestern waren noch zu schreiben. Kurze Zeit später wollte sie sich gerade ihre Tasche schnappen, um ihren wohlverdienten Feierabend einzuleiten, da sah sie, wie Schwester Agnes, die erst seit zwei Wochen im Dienst war, schluchzend in die kleine Teeküche stürmte.
Cecile wusste, dass Agnes noch sehr unerfahren war und große Angst hatte einen Fehler zu machen – denn sie wollte dadurch ihre Arbeit nicht verlieren.
Wegen der Überbelegung der Stationen hatte es bisher keine Möglichkeit gegeben, sie einzuarbeiten. Und dennoch hatte sie alle Arbeiten zu erledigen wie jeder andere.
Trotz ihrer Müdigkeit dachte Cecile in diesem Moment nicht an ihren Feierabend, sondern gesellte sich voll Mitgefühl zu ihrer Kollegin.
„Was ist los?“
Agnes stand mit dem Rücken zu ihr, doch Cecile konnte an ihren bebenden Schultern
erkennen, dass sie herzzerreißend weinte. Lautlos, aber dennoch unübersehbar.
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Astrid Martini
Engel der Schatten
Sie trat auf die verzweifelte Kollegin zu und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“
Agnes zuckte erschrocken zusammen wandte ihr das tränennasse Gesicht zu. „Wenn du niemandem erzählst, dass du mich in einer derartigen Verfassung angetroffen hast, wäre mir schon sehr geholfen.“
„Natürlich erzähle ich es niemandem. Warum auch?“
Agnes lachte bitter auf. „Weil sich hier jeder der Nächste ist und Intrigen, Missgunst und Mobbing an der Tagesordnung sind. Machst du einen Fehler, wirst du gnadenlos an den Pranger gestellt. Also versuche ich Fehler zu vermeiden. Was nicht einfach ist, wenn man nicht eingearbeitet wurde – aber dennoch ebenso mit anpacken muss wie alle anderen.“
„Ich jedenfalls werde dich weder anschwärzen, noch irgendjemandem erzählen, dass
du an deine Grenzen gekommen bist“, versprach Cecile. „Und nun sag mir, wie ich dir helfen kann.“
„Aber du hast doch längst Feierabend und heute schon genug Überstunden gemacht.“
„Das tut jetzt nichts zur Sache. Ich möchte dir helfen, okay?“
„Das ist lieb von dir. Bist du immer so selbstlos?“
„Ich würde es nicht selbstlos – sondern hilfsbereit nennen. Ich weiß nach all den Jahren noch zu gut, wie es ist, wenn man neu ist. Außerdem kann ich auf gar keinen Fall beruhigt in den Feierabend gehen, wenn ich weiß, dass eine Kollegin am Rande der Verzweiflung steht.“
„Dass es so etwas noch gibt.“ Agnes putzte sich geräuschvoll die Nase und wischte sich die Tränen fort. Dann lächelte sie Cecile dankbar zu. „Schade, dass ich nicht mit dir zusammen Dienst habe. Dann würde mir sicherlich einiges leichter fallen.“
„Auch wenn wir verschiedene Schichten haben, kannst du jederzeit auf mich zukommen, wenn ich dir irgendwie helfen kann. So, und nun los, bevor noch jemand bemerkt, dass du nicht auf deinem Posten bist.“
„Darüber darf ich gar nicht nachdenken.“
Kurze Zeit später betraten sie das Krankenzimmer von Sam Bochon, einem 77- jährigen, sehr sympathischen Patienten, dem man ein paar Tage zuvor einen Luftröhrenschnitt gesetzt hatte.
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Astrid Martini
Engel der Schatten
Er war noch müde und schlapp, zwinkerte ihnen aber freundlich zu. „Da geht es einem alten Haudegen wie mir doch gleich besser, wenn ich zwei so reizende junge Damen erblicke.“
„Sie Charmeur“, lachte Cecile.
Mit fachkundigen Händen kontrollierte sie den Katheder, den der Arzt ihm gelegt hatte. Er musste gereinigt und abgepumpt werden.
Cecile überzeugte sich davon, dass das Absaugegerät einsatzbereit war
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