Engel der Verdammten (German Edition)
war er mürbe. Mal sehen, was sie alles aus ihm herausholen konnten.
»Leider war es nicht allzu viel«, berichteten sie Hauptkommissar Thomas Ohlendorf später, als sie ins Präsidium zurückkehrten.
»Er sagt, sie habe sich Ileana genannt. Ihren richtigen Namen wisse er nicht. Sie habe nur sehr wenig Deutsch gesprochen. Er hielt sie für eine Russin. Sie habe ihn das erste Mal vor dem Docks am Spielbudenplatz angesprochen. Das war vor einem Monat. An den genauen Tag kann er sich angeblich nicht mehr erinnern. Einen Zuhälter, der sie überwacht hat, will er nicht bemerkt haben. Dann hat er sich noch dreimal mit ihr getroffen. Zweimal hatte er Sex mit ihr in seinem Wagen, zweimal hat er sich ein Zimmer genommen. Wir werden morgen mit ihrem Foto in das Stundenhotel gehen. Vielleicht erfahren wir dort mehr über sie.«
»Ist nicht viel, aber immerhin etwas. Glaubt ihr, er hat etwas mit der Tat zu tun?«, erkundigte sich der Hauptkommissar.
»Nein, er hat ein Alibi. Er war in der Nacht auf einer Party. Wir überprüfen aber noch, ob er sich nicht, nachdem er seine Frau heimgefahren hat, mit Ileana getroffen und sie umgebracht haben kann.«
»Gut, ihr beiden, dann macht mal Schluss für heute«, sagte der Hauptkommissar, der selbst keinerlei Anstalten machte, nach Hause zu gehen. Sönke strahlte und murmelte etwas von »Filet in Senfsauce«, als er seine Tasche packte.
»Also bis morgen, mien Deern«, schmetterte er und eilte davon. Sabine dagegen ging noch einmal ins Büro ihres Gruppenleiters zurück und fragte, ob sie ihm noch bei irgendetwas helfen könne.
Thomas Ohlendorf lächelte sie warm an. »Das ist nett von dir, und ich nehme deinen Arbeitseifer wohlwollend zur Kenntnis, aber du solltest jetzt heimgehen. Nutze deinen Feierabend, solange der Fall dir noch die Möglichkeit dazu gibt. Übertreib es nicht!«
»Du meinst, damit ich nicht gleich wieder zusammenbreche und Halluzinationen bekomme?«, gab sie schärfer zurück, als sie vorgehabt hatte.
»Nein, das wollte ich nicht sagen«, widersprach der Hauptkommissar. »Das ist abgehakt. Du bist wieder da, und wir erledigen die Arbeit so, wie sie es erfordert. Also mach, dass du nach Hause kommst!«
»Danke«, sagte sie kleinlaut, rührte sich aber nicht von der Stelle.
»Was ist noch?«
»Dieser Journalist, der bei dir war, Felix Leonhard. Was hältst du von ihm und seinem Projekt? Wir haben ihn auf dem Kiez getroffen, und er sagte, er würde für sein Buch Interviews mit den Prostituierten führen.«
»Und, du glaubst ihm nicht?«, wollte Thomas Ohlendorf wissen.
Sabine hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Vielleicht bin ich Journalisten gegenüber einfach zu misstrauisch. Also sag, was für einen Eindruck hat er auf dich gemacht?«
Der Hauptkommissar lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und überlegte. Sabine sah ihn unverwandt an. Sie versuchte, aus seinem Mienenspiel zu lesen. Thomas Ohlendorf war klug und handelte stets überlegt. Er war ein strenger Chef, der von seinen Mitarbeitern viel verlangte. Ungenauigkeiten und Nachlässigkeiten waren ihm ein Gräuel, und er sparte nicht mit Kritik, doch er war auch gerecht und registrierte, wenn seine Leute alles gaben, um einen Fall zu lösen. Dann ließ er sie auch seine Anerkennung spüren, oder er baute die wieder auf, die an den manchmal unlösbar erscheinenden Rätseln zu verzweifeln glaubten. Er war ein guter Teamleiter. Sabine vertraute ihm und gab viel auf sein Urteilsvermögen.
Thomas Ohlendorf erwiderte ihren Blick. »Ich halte ihn für einen guten Journalisten, der sauber arbeitet und die Fakten lieber einmal zu oft prüft als zu wenig. Und das Thema liegt ihm sehr am Herzen. Wenn man ihm etwas vorwerfen kann, dann vielleicht, dass er zu leidenschaftlich an die Sache rangeht und sich zu sehr hineinsteigert. Es könnte sein, dass ihm irgendwann der nötige Abstand verloren geht.«
Sabine nickte. »Danke für deine Einschätzung und schönen Feierabend.«
Schon als sie den Schlüssel ins Schloss ihrer Wohnungstür steckte, wusste sie, dass er bereits da war und auf sie wartete. Sie trat ein und schob die Tür hinter sich zu. Ohne Licht zu machen, stand sie bewegungslos im Flur und versuchte zu erahnen, wo er sich befand. Sabine konnte ihn nicht sehen, doch sie fühlte seine Gegenwart. Vor ihrem inneren Auge formte sich seine Gestalt, wie sie lässig aus dem Wohnzimmer trat. Sie spürte, wie er näher kam. Seine Kälte umschmeichelte sie.
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