Engel der Verdammten (German Edition)
gedauert, doch irgendwann war ich nicht mehr gefragt. Die Freier bevorzugten die jungen Mädchen, die noch nicht so lange da waren. Sie waren hübscher und vielleicht gaben sie sich auch mehr Mühe. Es gibt viele Männer, die wollen Sex, als wäre man ihre Freundin daheim, mit küssen und streicheln und ohne Kondom. Man muss sie überzeugen, dass man sie begehrt und sie toll findet. Ich konnte das nicht mehr. Jedenfalls sank mein Preis, das hat Melanie mir bald jede Nacht vorgeworfen, und ich bekam nur noch die, denen es nicht wichtig ist, dass die Hure so tut, als würde es ihr Spaß machen. Es gibt auch viele Männer, die wollen dich leiden sehen, die macht es erst richtig an, wenn sie Angst, Hass oder Leid in deinen Augen erkennen. Sie sind grob oder auch richtig gewalttätig. Vielleicht haben die ständigen Schmerzen den Rest von mir getötet. Doch wenn die Seele tot ist, dann verdirbt auch der Körper. Ich war schön, damals, jetzt bin ich eine alte Frau. Und doch erst sechsundzwanzig Jahre alt. Für so jemanden wie mich war in Tariqs Haus kein Platz mehr. Er hat sich ein neues Mädchen aus Bulgarien kommen lassen und mich dafür hierhergebracht. Ich sollte den Haushalt führen und auf das Kind aufpassen.«
Einen Moment leuchteten ihre Augen. »Anja ist jetzt vier. Manchmal ist es, als hätte ich ein eigenes Kind. Ich mache alles hier im Haus, denn Frau Fichtner wollte so schnell wie möglich wieder arbeiten gehen. Sie wollte die Kleine gar nicht mehr, nachdem Bent schon dreizehn war, als sie auf die Welt kam.« Der Gedanke an den Jungen, der jetzt nachts in ihr Bett kam, um sie zu missbrauchen, ließ sie schlucken.
»Ich will das nicht mehr«, stieß sie hervor. »Ich arbeite den ganzen Tag. Ich schrubbe das Haus vom Dach bis zum Keller, mache Gartenarbeit und passe auf Anja auf. Das mache ich alles, aber nachts will ich ihnen nicht auch noch zur Verfügung stehen!« Tränen standen in ihren Augen.
»Ihnen? Der Vater auch?«
Sie nickte. »Wenn seine Frau auf Geschäftsreise ist. Sie arbeitet bei irgendeiner großen Firma und ist oft mehrere Tage weg. Dann holt sich Herr Fichtner, was ihm seiner Meinung nach zusteht. Schließlich hat er mich gekauft.«
»Warum gehen Sie nicht einfach weg?«, erkundigte sich der Vampir. »Sie sind hier nicht eingeschlossen. Die Familie ist tagsüber nicht da. Was hält Sie auf?«
Fjodora starrte ihn an, als habe er den Verstand verloren.
»Wohin sollte ich denn gehen? Ich habe nichts und niemanden, der mir helfen könnte. Ich habe nicht einmal einen Pass. Ich bin illegal hier!«
»Dennoch könnten Sie zur Polizei gehen. Sklavenhaltung ist schon seit vielen Jahren verboten, soweit ich informiert bin.«
»Wen kümmert das? Die Polizei schützt die Frauenhändler und Zuhälter. Sie lassen sich bezahlen oder sind selbst Kunden in den Bordellen. Was glauben Sie, wie viele Polizisten ich in meinem Leben schon gesehen habe? Ich habe sie bedient, wie alle anderen Freier auch. Ich habe welche erlebt, die entflohene Mädchen zurückbrachten und sich von den Bordellbesitzern dafür haben bezahlen lassen. Ich sah welche, die Mädchen verprügelt haben, und ich habe gehört, wie es in den Gefängnissen zugeht. Schlimmer als im schrecklichsten Hinterhausbordell!«
Peter von Borgo dachte an die Länder des Balkans, die er schon bereist hatte. Ja, das konnte er sich lebhaft vorstellen, aber hier in Deutschland? Sicher gab es auch hier das eine oder andere schwarze Schaf, doch die Polizei als Ganzes war nicht korrupt und bestechlich.
»Ich kenne selbst einige Beamte der Kriminalpolizei. Sie sind vertrauenswürdig«, versicherte er ihr.
»Und wie erklären Sie es sich dann, dass jedes Mal, wenn eines von Tariqs Mädchen zu fliehen versucht, zwei Polizisten in Uniform kommen und sie vor aller Augen schlagen und vergewaltigen? Ich habe es mehr als einmal erlebt! Sie arbeiten für Tariq. Man kann ihm nicht entkommen. Und selbst wenn. Wohin sollte ich gehen? Nach Weißrussland? Ich habe keine Heimat mehr, keine Familie. Für sie bin ich längst tot, und das ist besser, als wenn sie von meiner Schande wüssten. Es gibt keinen Ort, an den ich zurückkehren könnte.«
Peter von Borgo erhob sich.
»Überlegen Sie es sich. Gibt es denn gar nichts mehr, das Sie sich wünschen?«
»Schlaf«, hauchte Fjodora. »Ich möchte schlafen, ganz tief und ohne die schrecklichen Träume, die mich Nacht für Nacht quälen.«
»So soll es sein.« Der Vampir beugte sich vor. Ihr Blick verschleierte sich.
Weitere Kostenlose Bücher