Engel der Verdammten (German Edition)
Klingen gemacht und in keinem Fall solche Wundränder erhalten. Ich bin ein wenig ratlos. Es kommt mir vor, als würden zwei unterschiedliche Wunden übereinanderliegen.«
»Könnten diese Einkerbungen nicht vorher entstanden sein?«, fragte Sabine, die eine unangenehm klare Vorstellung davon hatte, wie diese Verletzungen vor dem Schnitt ausgesehen haben könnten.
Die Ärztin überlegte und sagte dann zögernd: »Schon möglich. Aber nicht lange vorher. Es kam zu keiner Blutgerinnung. Es kann sich höchstens um Minuten handeln.«
Sabine fühlte, wie ihr übel wurde, und das lag ganz sicher weder an dem Anblick noch an dem Geruch der Leiche.
»Darf ich mir die anderen Opfer noch einmal ansehen?«, bat sie.
Falls sich Dr. Lichtenberg über ihren Wunsch wunderte, so zeigte sie es nicht. Sie wies ihren Sektionsassistenten an, die Fächer zu öffnen und die Leichen rauszuschieben.
Ja, da waren sie. Kleine, stiftförmige Wunden an den Rändern des Schnitts, die Dr. Lichtenberg für die Spur einer Kerbe in der Klinge gehalten hatte. Doch das waren sie nicht. Es waren – wie die beiden verkrusteten Punkte neben der Wunde an Fjodoras Hals – die Spuren langer, scharfer Reißzähne, wie sie nur ein Vampir in das Fleisch seiner Opfer schlägt. Darum hatten die Frauen keine Hautfetzen unter den Nägeln und keine Abwehrverletzungen. Sie waren wie das Kaninchen beim Anblick der Schlange von seinem Blick paralysiert worden.
Der Gedanke ließ ihr die Knie weich werden. Sie musste sich an einer der Metalltüren festhalten, hinter denen die gekühlten Leichen ruhten.
Peter, wie konntest du nur so etwas tun?
Er hatte sich nicht mehr beherrschen können und dann versucht, seine Taten zu tarnen, indem er den Opfern anschließend die Kehle durchschnitt. Glaubte er denn wirklich, er würde mit all diesen Morden durchkommen?
Oder irrte sie sich?
Ach, wie gern würde sie sich irren! Ihr Herz und ihre Kehle brannten, und es kostete sie all ihre Kraft, ihren Schmerz nicht laut herauszuschreien.
»Sabine, ist dir nicht gut?«
Sönke stand an ihrer Seite, und erst jetzt bemerkte sie, dass sie auf dem Boden kauerte. Auch Dr. Lichtenberg eilte herbei. Sabine las Erstaunen und Sorge in ihrer Miene.
»Ist Ihnen schlecht geworden?«, erkundigte sich die Ärztin. »Das bin ich von Ihnen gar nicht gewohnt.«
Sabine ließ sich von Sönke hochziehen. »Geht schon wieder. Nur der Kreislauf«, log sie.
»Sie können gern in mein Büro gehen und einen Kaffee trinken«, schlug Dr. Lichtenberg vor. »Wir sind hier eh bald fertig.«
Doch Sabine beharrte darauf, dass es ihr wieder gut gehe.
»Sie sind aber ungewöhnlich blass«, entgegnete die Ärztin, wandte sich dann jedoch wieder der Toten zu.
Während Sabines Blick auf den ausgeweideten Körper der Leiche gerichtet blieb, rasten ihre Gedanken. Die Spuren schienen eindeutig, aber es ergab alles keinen Sinn. Nichts passte zusammen. Sie musste noch einmal mit ihm sprechen, ihn zwingen, die Wahrheit zu sagen. Hatte er nicht behauptet, sie zu lieben? War er ihr nicht wenigstens die Wahrheit schuldig?
Sie blieb noch bis zum Ende der Autopsie und machte sich dann mit Sönke auf den Weg zur Krankenstation, um zu sehen, ob man die Roderers schon befragen konnte, doch es gelang ihr nicht, sich auf das verletzte Ehepaar und seine Schläger zu konzentrieren. Ihre Gedanken wanderten immer wieder zu dem Vampir, der sie so anzog und sie nun mit seinen schrecklichen Taten zur Verzweiflung trieb.
Was sollte sie tun? Was konnte sie tun?
Ihm einen Pflock durch das kalte Herz treiben, dachte sie bitter und hätte vor Hilflosigkeit am liebsten geweint. Stattdessen richtete sie ihren Blick auf die Frau im Krankenbett vor ihr. Sie hatte den Kopf und den Arm verbunden und sah sie aus einem fast zugeschwollenen Auge an. Ihre Lippe war blutverkrustet.
»Frau Roderer, wie geht es Ihnen?«
Die Frau schenkte der Kommissarin einen zornigen Blick. »Sieht man das nicht? Sind Sie schon einmal mit einem Baseballschläger fast zu Tode geprügelt worden?«
Sabine schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht, und ich glaube Ihnen auch, dass Sie Schmerzen haben, doch alles in allem sind Sie gut davongekommen. Nur Prellungen und eine Platzwunde. Nichts, das nicht in absehbarer Zeit wieder in Ordnung kommen wird.«
Frau Roderer brummte unwirsch.
»Haben Sie Ihre Angreifer erkannt?«
Frau Roderer schüttelte mit einer trotzigen Miene den Kopf. »Ich habe die Männer noch nie gesehen.«
»Aber Sie können sie mir sicher
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