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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Notiz von ihnen zu nehmen.
    Warum sollten sie sich also beeilen? Billy Joel trug ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht.
    Sie hatten dreihundert Leute und zehn Sekunden zwischen sich und die Szene des Mordes gebracht.
    ›Dafür werde ich euch töten!‹ Ich hörte den hallenden Klang meiner eigenen Stimme. Ich spürte die Luft in meinem Inneren wie einen Strudel, als habe mein Körper eine solche Stabilität erreicht, dass er sich von den Gerüchen nähren konnte, die vom Asphalt der Straße aufstiegen, von den im Stau stehenden Motoren, von den gellenden Hupen und von der Ansammlung menschlichen Fleisches.
    Legt euch um mich, ihr Kleider, stattet mich aus wie meine Gegner, da ich nun in Fleisch und Blut erscheine!
    Direkt vor Billy Joels Füßen materialisierte ich. Ein Griff nach dem Eispickel. Hab ihn schon! Und nun töte! Ich sah, dass sich meine Finger um sein Handgelenk schlossen; er hatte mich nicht einmal deutlich wahrgenommen, er spürte nur, wie der Knochen brach. Als er aufschrie, blickte sich sein Bruder um. Ich bohrte den Eispickel, den ich am hölzernen Griff aus Billy Joels Gürtel gerissen hatte, durch das Hemd tief in seinen Körper, wie er selbst es bei Esther gemacht hatte, nur viel, viel öfter.
    Erstaunen zeigte sich auf seinem Gesicht. Er spuckte Blut.
    ›Stirb, du dreckiger Hund, du hast das Mädchen getötet, jetzt stirbst du.‹
    Hayden kam mir in die Quere, rannte direkt in den Eispickel, ganz unproblematisch, und ich verpasste ihm gleich drei schnelle Stiche, einen davon in den Hals. Einige Leute gingen vorbei, wandten nicht einmal den Kopf. Andere betrachteten den am Boden liegenden Billy Joel.
    Nun war nur noch Doby übrig, aber der hatte sich davonge-macht. Er hatte seine Brüder fallen sehen und suchte nun, einem Hindernisläufer gleich, so schnell es ihm seine menschlichen Füße gestatteten, durch die Menge zu entkommen. Ich streckte nur den Arm aus, griff nach seiner Schulter.
    ›Warte, Mann!‹, keuchte er. Ich senkte den Pickel in seine Brust, auch hier dreimal, um gute Arbeit zu leisten, und knallte ihn gegen die Wand. Leute gingen vorbei und machten einen Bogen um uns, Gesichter abgewandt. Er rutschte tot auf das Pflaster nieder, und eine Frau stieß einen Fluch aus, weil sie über sein linkes Bein steigen musste.
    Nun erst verstand ich richtig, welch ein Geniestreich ihre Tat war in dieser von Menschen überfüllten Stadt. Aber ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich musste zurück zu Esther.
    Mein Körper war fest gefügt, und als ich nun rannte, musste ich mir meinen Weg zurück zu dem gläsernen Portal des Wa-renpalastes wie jeder andere Mensch bahnen.
    Schreie durchschnitten die Luft. Männer rannten in diese Hochburg der Mode. Ich schob und drängte, um näher heran-zukommen. Meine wirren schwarzen Haare klebten mir im Nacken. Und ich spürte, dass ich einen Bart trug. Aber alle Augen waren auf Esther gerichtet.
    Da brachten sie sie heraus, zugedeckt, auf einer weiß bespannten Trage. Ihr Kopf rollte zur Seite, große glänzende Augen mit perlmuttfarbenem, reinem Weiß blickten in meine Richtung. Aus ihrem Mund rann Blut wie aus einem alten de-fekten Brunnen, ein dünnes Rinnsal nur.
    Männer schrien, die Leute sollten zurücktreten. Ein alter Mann jammerte lauthals und krümmte sich zusammen, als er sie sah. Dieser Grauhaarige, das war ihr Chauffeur, vielleicht ihr Beschützer. Sein Gesicht war zerfurcht, der schmale Rücken gebeugt. Er krümmte sich und schrie auf, ich erkannte einen hebräischen Dialekt. Offensichtlich liebte er sie. Ich schob mich vorsichtig näher an sie heran.
    Ein weißer Wagen mit aufgemalten roten Kreuzen und auf dem Dach kreiselnden Lichtern kam herangebraust. Seine Sirenen verursachten einen unerträglichen Lärm, genauso gut hätte man mir die Eispickel durch die Ohren bohren können.
    Doch ich hatte keine Zeit, mir über diesen Schmerz Gedanken zu machen. Sie, Esther, lebte noch, atmete noch, ich musste einfach mit ihr sprechen.
    Sie trugen sie auf der Trage zu diesem Wagen, dabei hoben sie sie hoch über die Köpfe der Menge, wie eine Opfergabe ...
    Als sie sie durch die hinteren Türen des Wagens schoben, suchten ihre Augen nach etwas, nach jemandem.
    Mit meiner geballten Kraft drängte ich die anderen Leute aus meinem Weg. Meine Hände - wahrhaftig meine mir wohl vertrauten Hände - klopften gegen die lange schmale Scheibe an der Seite des weißen Wagens. Ich schaute durch das Glas, presste das Gesicht dagegen. Ich sah sie!

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