Engel der Verdammten
spürte aber das Bedürfnis nach Schlaf, denn der so sorgsam erschaffene Körper brauchte das genauso, wie ich Wasser brauchte. Ich richtete mich auf.
›Sprich nicht vom Sterben‹, sagte ich, während ich mich zu ihr wandte und sie anschaute, ›das kommt noch früh genug.‹
Die Glieder an den Körper gezogen, sah sie ganz gefasst aus.
Klug und vollständig dem Verstand hingegeben, schien sie der gerade eben noch mit mir geteilten Leidenschaft überhaupt nicht fähig zu sein. Ich platzte heraus: ›Ich habe nicht die Fä-
higkeit zu heilen, zumindest nicht eine so weit fortgeschrittene Krankheit.‹
›Habe ich dich darum gebeten?‹
›Du musst dich doch gefragt haben, ob ich es kann, du musst es doch wissen wollen.‹
›Ich will dir sagen, warum ich nicht gefragt habe‹, sagte sie, während sie wieder mit der Hand in meinem Brusthaar spielte.
›Ich wusste, wenn du es gekonnt hättest, hättest du mir im ersten passenden Augenblick geholfen.‹
›Das stimmt, da hast du vollkommen Recht.‹
Sie schloss die Augen und presste die Lider zusammen. Sie hatte Schmerzen.
›Kann ich etwas für dich tun?‹, fragte ich.
›Nichts. Ich will diese Drogen loswerden. Ich will bewusst, ich will ohne das alles sterben.‹
›Ich bringe dir gern, was du brauchst‹, sagte ich ihr. Mit ansehen zu müssen, wie sie litt, erschütterte mich. Dann endlich schien der Schmerz nachzulassen, und ihr Gesicht war wieder wächsern glatt und vollkommen.
›Du sprachst von Esther. Du sagtest, du wolltest etwas wissen.‹
›Ja, warum glaubst du, dass dein Gatte sie töten ließ?‹
›Ich weiß nicht! Das ist es ja! Sie haben gestritten, aber ich weiß nicht so recht. Ich kann einfach nicht glauben, dass es wegen seiner Familie war. Esther und Gregory zankten sich ständig. Das war normal. Ich weiß es einfach nicht.‹
›Erzähle mir alles über die beiden und über das Collier, woran du dich erinnern kannst. Du sagtest, sie habe die Sache mit dem Bruder herausgefunden, als sie die Kette kaufte.‹
›Sie traf Nathan im Diamantenviertel. Sie sah seine Ähnlichkeit mit Gregory, und als sie ihn darauf ansprach, gab er zu, dass er Gregorys Zwillingsbruder sei - ein eineiiger Zwilling.‹
›Ach, eineiig.‹
›Aber was kann das zu bedeuten haben? Also, er erzählte es ihr. Er bat sie, Gregory liebe Grüße auszurichten, was Esther verblüffte. Sie mochte ihn leiden und traf in dem Laden auch andere Chassidim, die dort arbeiteten. Sie mochte Nathan sehr gern, denn sie fand, dass er ein bisschen wie der Mann wirkte, der Gregory hätte sein können, so lieb und freundlich durch und durch. An dem bewussten Tag hatte sie die Kette bei sich, da bin ich mir sicher, denn sie wollte sie zu Nathan zurückbringen. Ich meine mich erinnern zu können, dass sie sagte, sie müsse sie hinbringen, weil irgendeine Kleinigkeit nicht in Ordnung war, und Nathan sollte sie reparieren. Sie fügte noch hinzu: »Sag dem Messias nicht, dass ich seinen Bruder besuche«, und lachte dabei. Sie hat ihm die Kette bestimmt gegeben, ehe die Killer sie erwischten. Gregory wusste, dass sie an dem Tag bei Henry Bendel einkaufen wollte, ganz sicher. Aber er wusste meiner Ansicht nach nicht über das Collier Bescheid. Erst gestern ist diese ganze Geschichte mit der Kette herausgekommen. Ich wusste nicht einmal, dass sie fehlte, keiner wusste das. Dann rückte Gregory damit heraus, dass die Terroristen sich die Kette geschnappt hätten, als sie sie töteten. Das Collier war weg, das stand fest, aber ich konnte Nathan nicht erreichen, um ihn danach zu fragen.
Außerdem hätte er wahrscheinlich von sich aus angerufen.
Von Nathan kenne ich zwar nur die Stimme, aber ich habe einmal mit ihm gesprochen und weiß, was ich von ihm zu halten habe.‹
›Komm noch einmal zurück auf den ersten Teil. Esther hat also mit Gregory wegen dessen Bruder gestritten. Und der Bruder war ein eineiiger Zwilling.‹
›Sie wollte, dass sich Gregory mit ihm traf. Dieser war stock-sauer, weil er fürchtete, sie würde anderen von den Chassidim erzählen. Er sagte, sie dürfe kein Wort sagen, es sei eine Sache auf Leben und Tod. Er versuchte sogar, ihr Angst zu machen. Ich kenne Gregory, ich merke, wenn er unsicher ist und nicht so ganz klar denkt, wenn er sich überrumpelt und in die Enge getrieben fühlt und wütend ist.‹
›Ja, so habe ich ihn auch schon gesehen‹, sagte ich. ›Wenn auch nur kurz.‹
›Nun, so benahm er sich ihr gegenüber. »Nein, nein, nein, wie
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