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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in den bernsteinfarbenen Augen noch die Lust am Töten, lag der Tiger. Ein Soldat saß auf ihm und rauchte gleichgültig eine selbstgedrehte Zigarette.
    Mit lautem Knirschen stieß das Boot ans Ufer. Dr. Haller und Siri sprangen an Land, ihnen folgten Pala und Dr. Kalewa. Oberst Donyan blieb noch ein paar Sekunden hinter dem Motor sitzen.
    Handscheinwerfer flammten auf, zwei Soldaten richteten das Licht auf Karipuri. Sein Bein war von der Wade bis übers Knie völlig zerfetzt und oberhalb des Abbindeknebels dick aufgetrieben und bläulich verfärbt. Was er an Schmerzen ertragen mußte, war unvorstellbar.
    Haller kniete neben ihn und drehte Karipuris Kopf zu sich herum. Pala hatte die Arzttasche geöffnet und reichte Dr. Kalewa eine Spritze und eine Ampulle mit Eucodal. Siri holte aus dem Rucksack die Flaschen mit dem Blutersatz.
    Haller beugte sich vor und nahm Karipuri das zerbissene Holzstück aus den Zähnen. Karipuri schrie dumpf auf und schlug mit dem Hinterkopf mehrmals auf den Boden.
    »Sie bekommen Eucodal, Karipuri«, sagte Haller. »Es sieht böse aus. Trotzdem operiere ich. Von mir aus schreien Sie jetzt, bis die Injektion wirkt. Siri gibt Ihnen Blutersatz. Ich will Sie durchbringen, hören Sie, Karipuri, ich muß Sie durchbringen! Nicht aus ärztlicher Pflicht, die wäre mir bei Ihnen völlig Wurscht, zum erstenmal in meinem Leben! Aber ich brauche Sie! Ich brauche Ihre Aussage. Ich war in meinem Leben oft ein Schwein, aber ich bin nie so tief gesunken, daß ich ein Mädchen vergewaltigt hätte. Das müssen Sie klarstellen, Karipuri. Und deshalb müssen Sie leben!«
    Dr. Kalewa gab die Eucodalspritze, Siri schob die Hohlnadeln in beide Armvenen und schloß die Blutersatzflaschen an. Zuerst die Kochsalzlösung, um den großen Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Pala hatte beide Arme Karipuris vom Körper weggezogen und mit Schlingen an den Handgelenken um Pflöcke gebunden, die er schnell in den Boden geschlagen hatte. Wie gekreuzigt lag Karipuri da und knirschte mit den Zähnen.
    Siri entrollte das Stecktuch mit den chirurgischen Instrumenten, Dr. Kalewa wühlte im Rucksack nach dem Narkosematerial. Oberst Donyan hatte sich auf den toten Tiger gesetzt, zündete sich eine Zigarre an, aber er sog vergeblich an der durchnäßten, aufgetriebenen Tabakrolle. Vier Handscheinwerfer erhellten jetzt den Platz. Karipuri hatte die Augen geschlossen, sein zerfetztes Bein mit den herausgerissenen Muskeln und Sehnen und den zum Teil freigelegten Knochen sah fürchterlich aus. Das Eucodal schien zu wirken. Karipuris heftiges Zittern ließ nach, das Klappern der Zähne, das dumpfe Stöhnen wurde leiser. Plötzlich riß er die Augen auf und starrte Haller an, der sich über ihn gebeugt hatte.
    »Ich will kein Krüppel sein«, sagte Karipuri erschreckend klar.
    »Ich möchte Ihnen vieles versprechen, aber das nicht. Sie werden einer sein. Wenn Sie Ihr Bein sehen könnten …«
    »Ich weiß, wie mein Bein aussieht. Geben Sie mir ein paar Milligramm Morphium über die Dosis, und Sie tun ein gutes Werk, Haller.«
    »Ihnen ein gutes Werk tun? Sie verlangen viel, Karipuri. Ich brauche Ihre Aussage.«
    »Sie schaffen es nie, Haller!« Karipuri hob etwas den Kopf. Er sah Siri an, Dr. Kalewa, Pala und Oberst Donyan, der seine nasse Zigarre gegen einen Baum warf. »Auch wenn Ihnen die Amputation gelingt – noch bevor Sie das Bein abbinden konnten, ist so viel Dreck in die Blutbahn gekommen, daß Sie keinerlei Chancen haben.«
    »Vielleicht doch, Karipuri.« Dr. Haller kniete sich neben ihn und blickte schnell zur Seite. Siri hatte das Amputationsbesteck aufgebaut wie in einem OP. Auf einer Segeltuchplane lag alles bereit. Sie selbst hockte daneben, triefend vor Nässe, überspült vom Schmutz des Dschungels, in den Haaren den grünen Schleim von Algen und Wasserpest. Dr. Haller atmete tief durch.
    »Man glaubt gar nicht, was das Blut alles verarbeiten kann, Karipuri«, sagte er. »Das bißchen Dreck spülen wir heraus! Und wenn ich in Ihre Armvenen literweise Blut hineinpumpe und unten an Ihrem Bein wieder herauslaufen lasse! Sie müssen leben! Und wenn Sie den verrücktesten Wundbrand bekommen, ich schneide Sie quer und längs auf, wie der Metzger das Schwein. Ich bringe Sie durch!«
    »Alles wegen Bettina?«
    »Nur wegen Bettina.«
    »Ich sehe Oberst Donyan.« Karipuri blickte hinüber zu Donyan. Er saß noch immer auf dem toten Tiger und drehte sich in der Blechdose eines seiner Soldaten eine Zigarette. »Hören Sie

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